NRW Grabenkämpfe im Amri-Ausschuss
Um Fakten ging es im Innenausschuss kaum. Dafür um die Schuldfrage und um Scharmützel zwischen Rot-Grün und Opposition.
Düsseldorf. Zum zweiten Mal innerhalb von zwei Wochen ist Innenminister Ralf Jäger (SPD) an einer langen Reihe Fernsehkameras vorbei durch den Gang des Landtags zu einer Sitzung des Innenausschusses gegangen. Zum zweiten Mal geht es über mehrere Stunden um den Fall Anis Amri und um die Frage, ob in NRW alles getan worden war, was hätte getan werden können, um den Anschlag von Berlin zu verhindern — war der Tunesier doch lange als Gefährder bekannt. Der Unterschied: In der Sitzung Anfang des Monats kamen viele bis dahin unbekannte Fakten auf den Tisch. Bei der gestrigen Sitzung indes hörte man jede Menge bereits Gehörtes. Inklusive der Rücktrittsforderungen gegen Jäger.
Die politischen Grabenkämpfe starteten schon nach der ersten Frage aus den CDU-Reihen an den Minister — darüber, wann und in welcher Reihenfolge die Nachfragen denn beantwortet werden sollten. In der Folge ging es nur am Rande um neue Fakten und Zahlen. Etwa, dass Amri von den 300 Tagen vor dem Anschlag im Dezember nur 40 in Nordrhein-Westfalen und 260 anderswo — mutmaßlich Berlin — verbracht habe. Die Darstellung einiger Medien, er sei doch zumeist in NRW gewesen, stimme demzufolge nicht, so Jäger. Oder die Erklärung, dass im vergangenen Jahr bei 197 Ausreisepflichtigen aus den Maghreb-Staaten die Abschiebehaft vollzogen wurde — darunter nur vier Tunesier, was laut Regierung die Schwierigkeiten verdeutlicht, die es mit diesem Herkunftsland gibt.
Darüber hinaus geriet die Sitzung vor allem zu einem Schlagabtausch zwischen rot-grüner Regierungsmehrheit und Opposition. Und immer wieder wurde Ralf Jäger persönlich massiv attackiert. Von der „Ein-Mann-Show Jäger“ sprach Werner Lohn (CDU) und sagte, ein Journalist habe ihn vor der Sitzung gefragt, wo denn der Raum sei, in dem es um Jägers Rücktritt gehe. Wie er sich damit fühle? Zwischenrufe aus den SPD-Reihen „Jetzt wissen wir, worum es Ihnen geht!“ folgten.
Lohns Parteifreund Gregor Golland warf dem Minister vor: „Sie versuchen wieder, sich über die Zeit zu retten.“ Der innenpolitische Sprecher der FDP, Joachim Stamp, erneuerte seine Forderung, Jäger solle die politische Verantwortung für die Ermittlungen übernehmen. Für ihn sei „ein Maß von Ignoranz und Verantwortungslosigkeit erreicht“, das den Innenminister untragbar mache. Jäger antwortete ihm: „Wir beide haben eine fundamental unterschiedliche Auffassung von Verantwortung im Amt.“ Als Minister müsse er die politische Verantwortung nicht übernehmen — er trage sie ohnehin jederzeit.
Von seiner grundlegenden Haltung, alle rechtsstaatlichen Möglichkeiten habe man ausgeschöpft, wich er indes keinen Deut ab. Vielmehr identifizierte er einmal mehr Lücken im Bundesrecht. So müsse man dafür sorgen, dass eine längere Abschiebehaft möglich ist — Amri, so Jägers Ministerium, habe nicht eingesperrt werden können, weil man nicht davon ausging, binnen drei Monaten aus Tunesien die nötigen Papiere für eine Abschiebung zu erhalten; länger darf eine Abschiebehaft nicht dauern.
Auch die Voraussetzungen für eine Abschiebungsanordnung gegen gefährliche Personen müssten so herabgesetzt werden, dass dieser Passus des Aufenthaltsgesetzes überhaupt anwendbar werde. Zweifel äußerte Jäger daran, dass die Fußfessel für Gefährder verfassungskonform sei und eingeführt werden könne.
Eine Art Conclusio der Debatte bot FDP-Mann Marc Lürbke. Die bisherige politische Aufarbeitung der Causa Amri diene mitnichten dazu, das Vertrauen der Bürger in die innere Sicherheit zu stärken. „Wir brauchen die Sonderermittlung“, sagte er. Heute dürfte sich die Landesregierung dazu äußern, ob sie auch ohne Unterstützung der Opposition einen außerparlamentarischen, unabhängigen Gutachter für eine solche Ermittlung einsetzt.