Verwirkung von Grundrechten Sollte Björn Höcke seine Grundrechte verlieren?
BERLIN/KARLSRUHE · Das Geheimtreffen rechtsextremistischer Kreise verleiht einer aktuellen Online-Petition besonderen Schwung. Schon fast 1,4 Millionen Menschen haben im Internet abgestimmt.
Knapp 1,4 Millionen Menschen haben sie bereits unterstützt - die von der Onlineplattform Campact initiierte Petition: Der thüringische und bundesweit einflussreiche AfD-Politiker Björn Höcke soll seine Grundrechte verlieren. Nach den jüngsten Veröffentlichungen des Recherchemagazins Correctiv über Geheimpläne zu massenhafter Deportierung oder zur Drangsalierung von Personen mit Migrationshintergrund gehen die Menschen zu Zehntausenden gegen die AfD auf die Straße. Und die Politik debattiert, wie aussichtsreich oder riskant ein Parteiverbotsverfahren gegen die AfD ist. Nun rückt neben einem solchen Parteiverbot mit Blick auf Höcke ein weiteres rechtliches Instrument in den Fokus. Die Grundrechtsverwirkung.
Wer leitet das Verfahren ein?
Einen Antrag auf Grundrechtsverwirkung können nicht etwa die 1,4 Millionen Unterstützer der Onlinepetition stellen. Das muss der Bundestag, die Bundesregierung oder eine Landesregierung tun. Aussprechen kann die Grundrechtsverwirkung nur das Bundesverfassungsgericht.
Welches sind die Voraussetzungen für eine Grundrechtsverwirkung?
Die Grundrechtsverwirkung nach Artikel 18 Grundgesetz setzt voraus, dass der Betroffene eines dieser Grundrechte zum Kampf gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung missbraucht hat: Meinungsäußerung, insbesondere die Pressefreiheit, Lehrfreiheit, Versammlungsfreiheit, Vereinigungsfreiheit, das Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnis, das Eigentum oder das Asylrecht. Zur freiheitlich demokratischen Grundordnung gehört laut Bundesverfassungsgericht die Achtung vor den Menschenrechten, vor allem vor dem Recht der Persönlichkeit auf Leben und freie Entfaltung. Auch die Gewaltenteilung, die Unabhängigkeit der Gerichte und andere demokratische Werte sind gemeint.
Wie ist es bei Björn Höcke?
Dass ein Antrag auf Grundrechtsverwirkung gegen Björn Höcke begründet sei, wird in der Petition so argumentiert: Höcke sei ein „wahrhaft gefährlicher Feind der freiheitlichen Demokratie“, der dieser keinen weiteren Schaden zufügen dürfe. Weil im September in Thüringen Landtagswahlen sind, bestehe die Gefahr, dass die AfD dann stärkste Kraft im Landtag sein werde. Es wird aus dem Landesverfassungsschutzbericht zitiert: „Der AfD Landesverband Thüringen ist eine erwiesen rechtsextremistische Bestrebung gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung. Der Landesverband vertritt seit Jahren Positionen, die sich gegen die Menschenwürde, gegen das Demokratie- und gegen das Rechtsstaatsprinzip richten.“ Höcke stehe prominent an der Spitze eben dieses AfD-Landesverbands. Sein Einfluss in der Bundes-AfD sei zentral. Höcke hetze gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung, die Erinnerungskultur in Bezug auf den Holocaust und Menschen mit Migrationshintergrund.
Und dann heißt es in der Onlinepetition: „Er bezeichnet das Holocaust-Mahnmal in Berlin als ein ,Denkmal der Schande‘ und fordert im gleichen Zusammenhang eine ,erinnerungspolitische Wende um 180 Grad‘. Er schwadroniert von dem ,bevorstehenden Volkstod durch den Bevölkerungsaustausch‘. Auch was er zukünftig vorhat, teilt er unverblümt mit: ,Ein paar Korrekturen und Reförmchen werden nicht ausreichen, aber die deutsche Unbedingtheit wird der Garant dafür sein, dass wir die Sache gründlich und grundsätzlich anpacken werden. Wenn einmal die Wendezeit gekommen ist, dann machen wir Deutschen keine halben Sachen, dann werden die Schutthalden der Moderne beseitigt.‘“ Dies alles sage ein Faschist. Dass man ihn so nennen dürfe, habe das Verwaltungsgericht Meiningen bereits 2019 festgestellt.
Was wäre die Rechtsfolge der Verwirkung?
Das Bundesverfassungsgericht würde festlegen, welche Grundrechte der Antragsgegner verwirkt hat. Für mindestens ein Jahr. Die Karlsruher Richter können zudem das Wahlrecht, die Wählbarkeit und die Fähigkeit zur Bekleidung öffentlicher Ämter aberkennen.
Gab es schon Fälle der Grundrechtsverwirkung?
Nein, wohl aber gab es vier Verwirkungsverfahren in Karlsruhe. In allen wurden die Anträge abgelehnt. Im Jahr 1960 gegen den stellvertretenden Bundesvorsitzenden der Sozialistischen Reichspartei, Otto Ernst Remer. 1974 gegen den Herausgeber der Deutschen Nationalzeitung, Gerhard Frey. 1996 wurden zwei Anträge gegen mutmaßliche Rechtsextreme abgelehnt.
Was spricht gegen ein Verfahren?
Während Befürworter eines Verfahrens gegen Höcke mit den genannten Argumenten und der Dringlichkeit argumentieren, gibt es auch skeptische Stimmen. Solch ein Verfahren könne jahrelang dauern. Für die Wahl in Thüringen käme es zu spät. Auch könne die Sache für Höcke sogar nützlich sein. Er könne eine Opfer- oder Märtyrerrolle kultivieren. Und so Wähler für seine Ideen mobilisieren. Wie es Donald Trump in größerem Maßstab in den USA macht. Der Präsidentschaftskandidat deutet die gegen ihn laufenden Prozesse als Hexenjagd um. Entsprechendes könnte für Höcke sogar dann funktionieren, wenn Karlsruhe eine Grundrechtsverwirkung ausspräche. Auch wenn er dann gegebenenfalls nicht mehr wählbar wäre, könnte er doch die Strippen aus der zweiten Reihe ziehen. Am Ende bestehen für das Verfahren der Grundrechtsverwirkung ähnliche Bedenken wie bei der Diskussion um ein Parteiverbot. Die Befürworter hingegen betonen: Man kann es doch nicht tatenlos laufen lassen, man kann doch nicht nichts tun.