Ärzte beschließen Vollstreik an 600 Kliniken
Berlin (dpa) - Krankenhauspatienten droht ab Ende Januar ein flächendeckender Ärztestreik an den rund 600 kommunalen Kliniken in Deutschland. Im Notfall sollen Kranke aber behandelt werden.
Die Große Tarifkommission des Marburger Bundes (MB) beschloss am Dienstag einen unbefristeten Vollstreik ab 26. Januar, sagte MB-Sprecher Hans-Jörg Freese der Nachrichtenagentur dpa in Berlin. Nach dem Scheitern von Tarifverhandlungen mit den kommunalen Arbeitgebern hatten zuvor 92,7 Prozent der MB-Mitglieder in den kommunalen Krankenhäusern für den Ausstand gestimmt.
Die Gewerkschaft will 6 Prozent mehr Gehalt für die nach unterschiedlichen Angaben 45 000 bis 50 000 Mediziner erreichen. Die Vereinigung der kommunalen Arbeitgeber (VKA) hatte 1,48 Prozent angeboten. Gewerkschaftschef Rudolf Henke sagte: „Die Ärztinnen und Ärzte sind entschlossen, ihren Forderungen größtmöglichen Nachdruck zu verleihen.“ Die Tarifgespräche über höhere Gehälter und bessere Arbeitsbedingungen waren Anfang Dezember gescheitert.
Die VKA forderte die Gewerkschaft auf, doch noch rechtzeitig an den Verhandlungstisch zurückzukehren. „Wir sind bereit“, sagte VKA-Geschäftsführer Manfred Hoffmann der dpa. Das heiße aber nicht, dass die Arbeitgeber plötzlich mehr Geld zu vergeben hätten. „Wir erwarten ein zustimmungsfähiges Angebot. Dann sind Gespräche wieder möglich“, entgegnete MB-Sprecher Freese.
Bei einem Streik müssen sich Patienten laut Marburger Bund auf eine Verschiebung geplanter Behandlungen einstellen. Akute Behandlungen seien ähnlich wie an Wochenenden gewährleistet.
Die Ärztegewerkschaft fordert auch eine bessere Bezahlung der Bereitschaftsdienste sowie eine Reduzierung dieser Dienste auf maximal vier pro Arzt und Monat. Die von der VKA angebotene Erhöhung bewegt sich im Rahmen der Krankenhaus-Budgetsteigerung. Dazu sollte eine Einmalzahlung von 250 Euro kommen. Die weitaus meisten kommunalen Kliniken gehören zum Bereich der VKA.
Henke sagte: „Die Rechnung der Arbeitgeber geht völlig an der Realität vorbei.“ Die Krankenhäuser hätten in den ersten drei Quartalen 2011 einen Erlöszuwachs von 4,2 Prozent erzielt. Die Gewerkschaft warf den Arbeitgebern vor, klare Festlegungen für verlässliche Arbeitszeiten zu scheuen. 55 Prozent der Ärzte in kommunalen Kliniken leisteten pro Monat durchschnittlich fünf bis neun Bereitschaftsdienste.
Hoffmann kritisierte dagegen: „Die Rechnung des Marburger Bundes hat keine Grundlage.“ Zwar hätten die Kliniken mehr Behandlungsfälle verzeichnet, doch damit sei auch der Aufwand gestiegen. Im Übrigen sei das Ergebnis der Urabstimmung nicht überraschend.
Der Arbeitgebervertreter rief die Ärztegewerkschaft dazu auf, ähnlich wie mit der Tarifgemeinschaft deutscher Länder zu verfahren. Im November hatten sich beide Seiten in letzter Minute über einen Tarifvertrag für die Mediziner an den Unikliniken geeinigt. MB-Geschäftsführer Armin Ehl sagte der dpa, er sei ganz guter Hoffnung, dass es doch wieder zu Gesprächen komme.
Der Deutsche Städtetag warnte vor einer Verschärfung der Probleme der Krankenhäuser. „Bei zu hohen Tarifabschlüssen besteht die Gefahr, dass eine Spirale von noch mehr Arbeitsverdichtung und noch schlechterer Personalausstattung in den kommunalen Krankenhäusern in Gang gesetzt wird“, sagte Geschäftsführer Stephan Articus.
Die Ärzteorganisation Hartmannbund nannte es „scheinheilig“, dass die VKA die Ärzte auf Basis ihres inakzeptablen Angebots wieder an den Verhandlungstisch bitte.