Angela Merkel im Interview: „Wettbewerb belebt das Geschäft“

Die Bundeskanzlerin über den Herausforderer Martin Schulz, die Saarland-Wahl, ihren Besuch bei Donald Trump und den türkischen Krawall.

Foto: krohnfoto

Berlin. Tiefenentspannt, aber jederzeit konzentriert, so wirkte Angela Merkel beim Interview mit unseren Hauptstadtkorrespondenten Werner Kolhoff und Stefan Vetter im Berliner Kanzleramt. Und das kurz vor dem auf den Freitag verschobenen Besuch bei Donald Trump. Doch weder der US-Präsident, noch die krawalligen Töne aus Ankara, noch der Höhenflug des SPD-Herausforderers Martin Schulz scheinen die Kanzlerin und CDU-Vorsitzende derzeit sonderlich aus dem Gleichgewicht zu bringen. Jedenfalls nach außen nicht.

Frage.: Macht Sie der Aufstieg von Martin Schulz nervös?

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Antwort Merkel: Nein. . Die Entscheidung der SPD für ihren Kanzlerkandidaten hat Klarheit gebracht. Und Wettbewerb belebt das Geschäft.


F.: Einen solchen Anstieg in den Umfragen, wie ihn jetzt die SPD erlebt, hat es aber ganz selten gegeben. Wie erklären Sie sich das?

A.: Bei den ja sehr mäßigen Umfragewerten der SPD war immer klar, dass da Luft nach oben ist. Und das zeigt sich jetzt.

F.: Martin Schulz versucht, einen Wahlkampf mit dem Thema Gerechtigkeit zu machen. Gibt es da auch aus Ihrer Sicht Korrekturbedarf?

A.:
Ich staune ein wenig, dass auch Martin Schulz sich wieder an der Agenda 2010 des früheren Bundeskanzlers Gerhard Schröder abarbeitet. Die SPD hadert jetzt seit 14 Jahren mit dieser Reformpolitik und kommt aus dem Blick zurück nicht raus. Das war schon 2009 und 2013 so - und geschieht jetzt wieder. Die Sozialdemokratie kann sich offensichtlich nicht über die Erfolge freuen, die unser Land mit dieser Agenda erreicht hat und die so vielen Bürgern neue Chancen eröffnet haben. Notwendige Korrekturen haben wir immer wieder vorgenommen. Zum Beispiel können Menschen über 50 Jahre das Arbeitslosengeld I jetzt länger beziehen als jüngere, den Kern der Agenda haben wir jedoch immer gestärkt. Aber all das ist Vergangenheit. Mir kommt es darauf an, dass wir uns Gedanken um die Zukunft machen, um künftige Arbeitsplätze und den Wohlstand von morgen. Deutschland 2025 ist wichtiger als das unablässige Hadern der SPD mit der Agenda 2010.

F.: Es sind aus Ihrer Sicht also beim Thema Gerechtigkeit alle Hausaufgaben gemacht?

A.:
Es sind nie alle Hausaufgaben gemacht. Aber wir haben in dieser Legislaturperiode auch im Sinne der Gerechtigkeit wichtige Entscheidungen getroffen. Gerecht ist es vor allem, Arbeitsplätze zu schaffen. Wir haben die Arbeitslosenzahlen seit 2005 halbiert. Aber es können immer noch weniger werden. Menschen sollen schnell wieder Arbeit finden können. In dem Zusammenhang ist das Thema Qualifizierung wichtig, vor allem die Qualifizierung am Arbeitsplatz. Denn die Arbeit entwickelt sich durch die Digitalisierung immer weiter. Deswegen spreche ich von dualer Weiterbildung mit starken betrieblichen Elementen. Weiterbildung von außen, einfach so, läuft immer Gefahr, in die falsche Richtung zu gehen.

F.: Schulz‘ Arbeitslosengeld Q ist für Sie also „Weiterbildung einfach so“?

A.:
Ich teile das Ziel der Qualifizierung, nicht aber die Methode. Heute wird schon nur die Hälfte der Weiterbildungszeit auf die Bezugsdauer von Arbeitslosengeld I angerechnet — das ist ein guter Weg. Die Hauptfrage muss sein, wie man lebenslanges Lernen im Betrieb organisieren kann, damit Menschen gar nicht erst arbeitslos werden.

F.: Der Schulz-Hype könnte dafür sorgen, dass Frau Kramp-Karrenbauer im Saarland übernächsten Sonntag verliert. Wäre das nicht für Sie ein sehr schlechter Start ins Wahljahr?

A.:
Die Landtagswahl im Saarland ist zunächst einmal eine Landtagswahl, und Annegret Kramp-Karrenbauer ist die Beste für das Saarland. Sie hat als Ministerpräsidentin der Großen Koalition hervorragende Arbeit geleistet. Sie ist sehr beliebt und hoch anerkannt, weit über die Parteigrenzen der CDU hinaus. Deshalb wünsche ich mir, dass sie Ministerpräsidentin bleibt.

F.: Haben Sie für sie im Fall der Niederlage einen Platz im Bundeskabinett?

A.:
Ich kämpfe dafür, dass Annegret Kramp-Karrenbauer das bleibt, was sie selbst auch gerne bleiben möchte, nämlich eine erfolgreiche Ministerpräsidentin des Saarlandes.

F.: Die SPD hat mit Linken, Grünen und FDP in den Ländern wie im Bund plötzlich Koalitionsalternativen. Welche haben Sie?

A.:
CDU und CSU konzentrieren sich darauf, so stark wie möglich und erneute stärkste Partei zu werden. Dann haben wir mit Ausnahme der Linken und der AfD viele Koalitionsoptionen. Das ist anders als noch vor 20 Jahren, und darüber bin ich froh. Wir haben im Grundsatz die Möglichkeit, mit der FDP zusammenzuarbeiten, es gibt Länder, in denen wir mit den Grünen koalieren, und wir haben Große Koalitionen. Unsere Bandbreite ist in den letzten Jahren deutlich gewachsen.

F.: Während die SPD euphorisch ist, gab es beim Aschermittwoch in Passau sogar Pfiffe und Buhrufe, als Horst Seehofer sagte, Sie seien die beste Kanzlerkandidatin der Union. Wie wollen Sie diese skeptische Stimmung in der eigenen Partei drehen?

A.:
Insgesamt sind CSU und CDU auf einem guten Weg. Wir haben schwierige Monate hinter uns, wir haben über einzelne Punkte gestritten, das wirkt natürlich noch etwas nach. Anfang Februar haben wir in München nach einer sehr ehrlichen und gründlichen Diskussion festgestellt, dass wir natürlich weit mehr Gemeinsamkeiten als Unterschiede haben, und dass wir deshalb mit einem gemeinsamen Wahlprogramm und einer gemeinsamen Kanzlerkandidatin die Bundestagswahl gewinnen wollen.

F.: Schweißt der Druck des Herausforderers die beiden Schwesterparteien zusammen?

A.:
Wahlkämpfe schweißen immer zusammen. Man weiß, dass man nur gemeinsam gewinnen kann. Das wird mit jedem Tag hin zur Wahl noch besser werden.

F.: Hindert Sie das Flüchtlingsabkommen mit der Türkei an einer härteren Reaktion auf die Provokationen Erdogans?

A.:
Nein, in keiner Weise.

F.: Wie beantworten Sie Erdogans persönlichen Vorwurf, Sie unterstützten Terroristen der PKK?

A.:
Ich habe nicht die Absicht, mich an diesem Wettlauf der Provokationen zu beteiligen. Die Vorwürfe sind natürlich abwegig.

F.: Müsste Deutschland jetzt nicht mit den Niederlanden Solidarität zeigen und Propaganda-Auftritte für das türkische Verfassungsreferendum ebenfalls untersagen?

A.:
Die Niederlande haben unsere ganze Solidarität, ich habe das nach den Beschimpfungen durch die Türkei klar gesagt. Die Beschimpfungen müssen aufhören. Die Niederländer haben unter dem Nationalsozialismus Schreckliches erlitten; sie heute Nazis zu nennen, ist völlig inakzeptabel. Was die türkischen Wahlkampfauftritte angeht, so ist die Situation in den Niederlanden so gewesen, dass sie die Türkei gebeten hatte, vor den niederländischen Parlamentswahlen auf solche Auftritte zu verzichten, und es sah zunächst so aus, als wolle sich die türkische Regierung auch daran halten. Wir wissen, dass es anders gekommen ist.

F.: Türkische Politiker dürfen also in Deutschland auftreten, auch Erdogan?

A.:
Das Auswärtige Amt hat am Dienstag der Türkei die dazu notwendigen Rahmenbedingungen und Vorgaben glasklar mitgeteilt. Veranstaltungen müssen rechtzeitig angemeldet werden; mit offenem Visier muss mitgeteilt werden, wer da zu welchem Zweck auftritt, und unsere Gesetze sowie die Prinzipien des Grundgesetzes müssen eingehalten werden. Außerdem beobachten wir die Lage jeden Tag sehr genau aufs Neue und geben niemandem einen Freibrief für die Zukunft.

F: Sie haben gesagt, die Einführung der Todesstrafe wäre das Ende der EU-Ambitionen der Türkei. Gilt das auch, falls Erdogan sein Präsidialsystem durchsetzt und sich zum Alleinherrscher aufschwingt?

A.:
Warten wir den Ausgang des Referendums ab. Sicher ist: Die Einschätzung der Rechtsexperten der sogenannten Venedig-Kommission des Europarates wiegt schwer. Sie haben festgestellt, dass das von Herrn Erdogan angestrebte Präsidialsystem ein Schritt hin zu einer autokratischen Ordnung sei. Außerdem weist diese Kommission darauf hin, dass das Referendum unter den Bedingungen des Ausnahmezustandes stattfindet. Der Europarat und die europäischen Institutionen müssen sich das Gutachten genau anschauen und eine gemeinsame Haltung dazu einnehmen.

F.: Sie könnten schon jetzt das Signal an die Wähler in der Türkei geben, dass ein Ja zum Referendum letztlich ein Nein zu Europa bedeutet.

A.:
Die türkischen Wähler und Wählerinnen sollen sich ihre eigene Meinung bilden und frei entscheiden. Sie sollen wissen, wofür Europa steht, aber Drohungen von außen an sie halte ich nicht für sinnvoll.

F.: Man sieht die Erosion europäischer Werte auch bei Staaten wie Ungarn und Polen. Ist da noch in der EU zusammen, was eigentlich nicht zusammen gehört?

A.:
Die Europäische Union ist notwendiger denn je, gleichzeitig aber auch in einer schwierigen Phase. Wir haben Probleme und Diskussionen, aber der Vertrag von Lissabon gibt uns die Möglichkeit, zum Beispiel die Verletzung demokratischer Grundwerte zu thematisieren. In der EU verbinden uns bestimmte Werte, und auf deren Einhaltung achten wir. Die Demokratie in der Europäischen Union ist stark.

F.: Populistische Bewegungen werden auch in den westeuropäischen Ländern stärker. Was ist Ihre Idee, um das zu stoppen?

A.:
Die Aufgabe ist immer, die Probleme der Menschen zu lösen, mit den Bürgern zu sprechen, etwa darüber, was Globalisierung für das Land, aber auch für sie persönlich bedeutet; und darauf zu achten, dass jeder, der bei uns lebt, auch unsere Rechtsordnung einhält und unsere Werte achtet. Wir geben uns große Mühe, Menschen, die zu uns gekommen sind, ob als Flüchtlinge oder Fachkräfte, zu integrieren. Die gleiche Mühe müssen sie sich geben, und das beginnt mit dem Erlernen unserer Sprache.

F.: Die Integrationsbereitschaft nicht überfordern, nicht so viele Flüchtlinge ins Land lassen, wäre auch eine mögliche Antwort gewesen.

A:
Die Entscheidung von 2015, die in Ungarn gestrandeten Flüchtlinge aufzunehmen, war in der damaligen humanitären Ausnahmesituation richtig und notwendig. Aber weil niemand möchte, dass sich eine solche Lage wiederholt, haben wir seither die Situation geordnet. Wir bekämpfen das grausame Schlepperwesen und engagieren uns sehr viel mehr in den Herkunftsländern, um den Menschen dort eine Zukunft zu geben. Im Ergebnis wurde so die Zahl der nach Europa kommenden Flüchtlinge deutlich reduziert. Wir müssen auch künftig mehr in Entwicklungszusammenarbeit investieren und die UN-Programme zur Versorgung der Menschen unterstützen. Und nach den positiven Auswirkungen des EU-Türkei-Abkommens haben wir nun begonnen, intensiv mit Ländern Afrikas zusammenzuarbeiten.

F.: Sie fahren in die USA. Was erwarten Sie von Ihrer Begegnung mit Donald Trump?

A.:
Zunächst einmal will ich den Präsidenten persönlich kennen lernen; kein Telefonat kann das ersetzen. Es ist immer besser, miteinander zu reden als übereinander. Dann will ich mit ihm über Sicherheitsfragen sprechen, über internationale Zusammenarbeit, Handel und Wirtschaft. Und als Gastgeberin des diesjährigen G20-Gipfels werde ich dem Präsidenten die Ziele und Projekte darlegen, die wir uns dafür vorgenommen haben.

F.: Kann man von offener Neugier auf beiden Seiten sprechen?

A.:
Neugier in jedem Fall. Und auch Freude, sich kennenzulernen. Das gilt zumindest für mich.

F.: Wie groß ist Ihre Sorge, dass Trump Deutschland und Europa einen Handelskrieg aufzwingt?

A.:
Unsere Länder profitieren davon, wenn wir gut und fair zusammenarbeiten. Wir Deutschen haben gute Argumente, denn es gibt nicht nur den deutschen Handelsüberschuss gegenüber den USA, es gibt auch hohe deutsche Direktinvestitionen in Amerika. Das größte BMW-Werk steht nicht in Deutschland, sondern in den Vereinigten Staaten und exportiert von dort mehr Autos als GM und Ford zusammen. Das werde ich deutlich machen.