Antidiskriminierungsstelle Jeder sechste Bürger fühlt sich benachteiligt
Berlin · Die Antidiskriminierungsstelle des Bundes zieht Bilanz. Die Anfragen für eine Beratung sind deutlich gestiegen. Besonders betroffen - die Arbeitswelt.
Etwa jeder sechste Bürger in Deutschland hat nach eigenen Angaben in den letzten 24 Monaten eine Diskriminierung erlebt. Unter Migranten und Schwerbehinderten ist der Anteil noch deutlich höher. Die Antidiskriminierungsstelle des Bundes verzeichnete deshalb im vergangenen Jahr einen deutlichen Anstieg der Beratungsanfragen.
Eine Reinigungskraft wurde mehrfach von einem Kollegen mit Umarmungen, Küssen und Brustattacken belästigt. Der Arbeitgeber erteilte ihm eine Abmahnung, aber die Frau musste weiter mit dem Mann zusammenarbeiten. In ihrer Verzweiflung wandte sich die Betroffene schließlich an die Antidiskriminierungsstelle des Bundes. Nur ein Fall von insgesamt 3455, mit denen die Berater dort im Jahr 2018 konfrontiert wurden. Im Vergleich zu 2017 war das eine Steigerung von rund 15 Prozent.
„Der Umfang und die Entwicklung der Beratungsfälle zeigen, dass Benachteiligung ein alltägliches Problem ist“, sagte der kommissarische Leiter der Behörde, Bernhard Franke, am Dienstag bei der Vorstellung der aktuellen Bilanz. Laut einer repräsentativen Befragung von Privathaushalten haben 16 Prozent der Bürger in den vorangegangen zwei Jahren selbst eine Benachteiligung erlebt. Unter Schwerbehinderten und Migranten liegt der Anteil sogar bei 26 beziehungsweise 23 Prozent.
Die Antidiskriminierungsstelle des Bundes wurde vor 13 Jahren im Zuge des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG) eingerichtet. Demnach darf kein Mensch wegen seiner ethnischen Herkunft, Religion oder Weltanschauung, wegen einer Behinderung, seines Alters, Geschlechts oder sexuellen Orientierung benachteiligt werden. Bei Verstößen besteht ein Schadensersatzanspruch. Betroffene können bei der Antidiskriminierungsstelle erfahren, ob die Bestimmungen des AGG tatsächlich auf sie zutreffen. Die Stelle holt juristische Gutachten ein und wendet sich auch direkt an den Betrieb, mit dem ein Betroffener Probleme hat.
Häufige Anfragen zu Diskriminierung im Arbeitsleben
Mehr als jede dritte Beratungsanfrage im vergangenen Jahr (36 Prozent) bezog sich dann auch auf eine Diskriminierung im Arbeitsleben. Dazu zählten zum Beispiel auch Benachteiligungen von Schwangeren in einem Jobverhältnis. 31 Prozent baten wegen ihrer ethnische Herkunft und rassistischen Erfahrungen um Rat. 29 Prozent wegen ihres Geschlechts und 26 Prozent wegen ihrer Behinderung. „Mit Sorge“ beobachte man eine „Radikalisierung insbesondere rassistischer Ressentiments in weiten Teilen der Gesellschaft“, klagte Franke. Auf der anderen Seite zeigten sich Betroffene mittlerweile allerdings eher bereit, ihre Erfahrungen zu artikulieren und auf ihren Rechten zu bestehen. Neben der Antidiskriminierungsstelle des Bundes gibt es dafür auch in einigen Kommunen Ansprechpartner. In Berlin, Baden-Württemberg, Hessen, Rheinland-Pfalz, sowie Schleswig-Holstein, Thüringen und Sachsen wurden zudem entsprechende Landesbehörden eingerichtet.
Für die sexuell bedrängte Reinigungsmitarbeiterin konnte die Antidiskriminierungsstelle des Bundes immerhin erreichen, dass sich das Unternehmen entschuldigte und der Belästiger an eine andere Stelle versetzt wurde. Ob dort auch Frauen tätig sind, vermochte Franke allerdings nicht zu sagen.