Widerspruchslösung Jeder Bürger soll Organspender sein

Berlin · Gesundheitsminister Spahn stellt die Widerspruchslösung vor und erntet damit viel Kritik. Welche Regelung sich am Ende durchsetzt, ist derzeit völlig offen.

Transplantation im OP-Saal: Im Schnitt stirbt alle acht Stunden ein Patient, der auf ein Spenderorgan wartet.

Foto: dpa/Jan-Peter Kasper

Der von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) am Montag gemeinsam mit Politikern anderer Parteien vorgestellte Gesetzentwurf zur Neuregelung der Organspende hat breite Kritik ausgelöst. Schon jetzt gibt es eine Gegenvorlage. Und es könnte nicht die Letzte sein.

Der Auftritt Spahns gestern in Berlin fiel taggenau mit dem Inkrafttreten des reformierten Transplantationsgesetzes zusammen. Es sieht zum Beispiel eine Ausweitung der Befugnisse für Transplantationsbeauftragte vor. Spahn hatte allerdings immer klargemacht, dass es weitergehender Lösungen bedürfe, um die Zahl der Organspenden deutlich zu erhöhen. Im Schnitt stirbt in Deutschland alle acht Stunden ein Patient, weil kein passendes Spenderorgan zu Verfügung steht. Nach den Vorstellungen des Ministers soll deshalb die sogenannte Widerspruchslösung ins Gesetzblatt kommen.

Das bedeutet: Jeder volljährige Bürger ist grundsätzlich ein Organspender, sofern er nicht zu Lebzeiten ausdrücklich widersprochen hat. Derzeit gilt in Deutschland noch die „Entscheidungslösung“. Demnach ist eine Organentnahme nur bei ausdrücklicher vorheriger Zustimmung möglich.

Die bisherige Regelung hat „nicht gefruchtet“

Spahn war anfangs auch ein Anhänger dieser Variante. Sie habe aber „nicht gefruchtet“, räumte der CDU-Politiker gestern ein. Der Gesetzentwurf zur Widerspruchlösung wird bislang offiziell von neun weiteren Bundestagsabgeordneten mitgetragen. Zu ihnen gehören SPD-Fraktionsvize Karl Lauterbach, der CSU-Gesundheitsexperte Georg Nüßlein und die Parlamentarische Geschäftsführerin der Linken, Petra Sitte. Nach Meinung Lauterbachs ist die Widerspruchslösung ethisch vertretbar. Wer nicht spenden wolle, müsse dann wenigstens bereit sein, sich zu erklären. Nüsslein verglich das Vorhaben mit der Patientenverfügung: Wer keine habe, der müsse mit lebenserhaltenden Maßnahmen rechnen. Gleichwohl erwartet Nüßlein eine „kontroverse Debatte“.

Im Bundestag formiert sich Widerstand

Die kam gestern schon in Schwung. So nannte der Vorsitzende des deutschen Ethikrates, Peter Dabrock, die Widerspruchlösung „unnötig und schädlich“. FDP-Chef Lindner sprach von einem „Einschnitt in die freie Selbstbestimmung der Menschen“. Und Eugen Brysch von der Deutschen Stiftung Patientenschutz sah in dem Vorstoß eine Politik mit der „Brechstange“.

Auch im Bundestag formiert sich bereits Widerstand. In einem Gegenantrag von bislang ebenfalls zehn Abgeordneten wird ein Organspender-Register angeregt, in das sich jeder Bürger selbst eintragen soll. Es bleibt aber strikt beim Freiwilligkeitsprinzip. Das Register soll einen Nachteil ausgleichen: Oft ist die Karte mit der Zustimmung nicht auffindbar, wenn jemand stirbt. Federführend waren hier Grünen-Chefin Annalena Baerbock und die ehemalige Gesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD). Eine offizielle Vorstellung dieses Antrags steht aber noch aus. Das Gesundheitsministerium hatte sich bereit erklärt, in Amtshilfe auch diesen Gesetzentwurf zu erstellen. Der sei aber noch in der internen Abstimmung, hieß es gestern aus dem Ressort. Unter Kritikern der Widerspruchslösung wird vermutet, dass Spahn die Konkurrenzvorlage bewusst verzögern könnte, um seine Lösung zu forcieren.

Welche Variante sich am Ende durchsetzt, ist noch unklar. „Viele Abgeordnete wollen erst einmal den Verlauf der Debatte abwarten“, sagte die Linken-Politikerin Sitte. Es könnten auch noch weitere Vorlagen hinzukommen. Als der Bundestag vor vier Jahren über die Sterbehilfe debattierte, gab es gleich vier verschiedene Gruppenanträge. Nach den aktuellen Planungen soll das Parlament bis zum Jahresende über eine Neuregelung der Organspende beschließen. Ohne Fraktionszwang.