Auch Migranten sind jetzt Wechselwähler
Die Gruppe wird für die Parteien immer wichtiger. Profiteur ist derzeit die Union.
Berlin. Womöglich werden sie die Bundestagswahl mit entscheiden: 5,8 Millionen Menschen mit Migrationshintergrund sind am 22. September wahlberechtigt.
Anders als früher. Wählte der klassische Gastarbeiter stets SPD oder dann die Grünen und der Spätaussiedler CDU, so gilt das längst nicht mehr. Vor allem Jüngere wechseln bei der Stimmabgabe. Denn die Bindungen an die Parteien haben sich auch unter Migranten vielfach aufgelöst.
42,9 Prozent der türkischstämmigen Migranten wollen laut einer gestern in Berlin vorgestellten Umfrage des Instituts „futureorg“ SPD wählen, 21,6 Prozent Grün, 20,3 Prozent CDU und 3,1 Prozent FDP. Bei der Bundestagswahl 2009 sah das noch ganz anders aus: Da wählten 50,2 Prozent SPD, 31 Prozent Grün, nur 11,4 Prozent die CDU und 1,9 Prozent die FDP.
Nach Ansicht des Sozialwissenschaftlers Kamuran Sezer hat die SPD wegen ihres Umgangs mit dem umstrittenen Buchautor und Parteimitglied Thilo Sarrazin an Sympathien verloren, die Grünen wegen ihrer Einmischung in den innertürkischen Konflikt um den Gezi-Park. Auch habe das Personal insgesamt deutlich an Glaubwürdigkeit eingebüßt. Von der Schwäche der Grünen profitiert die Union: Viele Migranten würden immer noch honorieren, so der Experte, dass die Union 2010 in Niedersachsen mit Aygül Özkan die erste türkischstämmige Frau zur Ministerin gemacht habe. Die Ablehnung eines EU-Beitritts der Türkei sei vor allem für die jüngeren Wähler „nicht mehr relevant“, ergänzte Sezen Tatlici von der multikulturellen Gemeinschaft „Typisch Deutsch“.
Dass Migranten häufig Politiker wählen, die zu ihrer eigenen Zuwanderungsgruppe gehören, haben die Parteien erkannt. Die Grünen stellen die meisten Abgeordneten mit Migrationshintergrund, sowohl auf Bundes- als auch auf Länderebene. Mit Cemile Giousouf wird erstmals eine türkischstämmige Frau als Direktkandidatin für die CDU ins Rennen gehen. Die SPD indes hat nicht nur eine Arbeitsgemeinschaft zum Thema Migration und Vielfalt geschaffen, sondern mit Aydan Özoguz auch eine türkischstämmige Parteivize.