Analyse Bleibt geschäftsmäßige Hilfe zum Suizid strafbar?
Düsseldorf · Das Bundesverfassungsgericht verhandelt über das 2015 eingeführte Gesetz zur geschäftsmäßigen Suizidbeihilfe. Geklagt haben Sterbehilfe-Vereine, Ärzte und sterbewillige Patienten.
Als letzten möglichen Rettungsanker sehen viele Menschen das Bundesverfassungsgericht. Sie hoffen, dass es dem Gesetzgeber doch noch in den Arm fällt. Und ein Gesetz für verfassungswidrig erklärt, mit dem der Bundestag 2015 die „geschäftsmäßige Förderung der Selbsttötung“ unter Strafe stellte. Dienstag und Mittwoch werden die Karlsruher Richter die Argumente der Kläger anhören. Ein Datum für das Urteil steht noch nicht fest. Geklagt haben Sterbehilfe-Vereine, Ärzte und sterbewillige Patienten.
Wie groß die Verunsicherung gerade bei Ärzten ist, die Gefahr laufen, sich strafbar zu machen, beschreibt der Palliativmediziner Michael de Ridder. Er ist einer der Kläger. In der Wochenzeitung „Die Zeit“ schildert de Ridder einen Fall, in dem er einen Mann beim Sterben begleitete. Und ihm nach langer Abwägung die tödlich wirkenden Medikamente besorgte.
Es schwebe ein Damoklesschwert über jedem Arzt, der erwägt, einem Patienten Suizidhilfe zu leisten, schreibt der Ridder. Denn was exakt unter Geschäftsmäßigkeit (und der dann drohenden Strafbarkeit) zu verstehen ist, bleibe offen. De Ridder warnt: Die Reichweite des Gesetzes sei enorm, sie betreffe nicht nur Ärzte. Sondern beispielsweise auch einen Taxifahrer, der regelmäßig Sterbewillige zu einem Suizidhilfeverein in die Schweiz fährt. Oder ein Hospiz, das einen aussichtslos Kranken mit dem vorsätzlich gefassten Entschluss aufnimmt, sein Leben gezielt durch Sterbefasten zu beenden.
Die Argumente für eine Bestrafung der Suizidhelfer
Dass es 2015 zu der Gesetzesverschärfung kam, wurde unter anderem so begründet: Weil die Menschen denken könnten, im Alter oder bei schwerer Krankheit eine Last zu sein, würden Angebote der geschäftsmäßigen Beihilfe zum Suizid auch durch Ärzte einen Erwartungsdruck erzeugen, diese Angebote wahrzunehmen.
Andere beschworen geschichtliche Erfahrungen – die als Euthanasie bemäntelten Nazi-Morde. Das ist jedoch ein schiefes Argument. Denn damals wurden Menschen ermordet, sie starben fremdbestimmt. Diese Verbrechen können nicht dafür herhalten, dass Menschen heute nicht selbstbestimmt sterben dürfen. In Zeiten einer Medizin, die statt sinnvoller Lebensverlängerung oft nur eine Sterbeverzögerung bringt.
Die Argumente der Gegner einer Strafbarkeit der Suizidbeihilfe
Alle warnenden Stimmen gegen das Gesetz blieben ungehört: dass nämlich einem zum Tode Entschlossenen nur noch wenige Auswege verbleiben, wenn er auf ärztliche Hilfe nicht mehr zählen könne – eben weil der Arzt sich strafbar macht. Wer es sich leisten kann, reist in die Schweiz zu einem Sterbehilfeverein und nimmt einsam, in anonymer Umgebung den Todestrunk. Und wer kein Geld hat, wählt eine der grausamen Methoden, mit denen sich in Deutschland jährlich 10 000 Menschen töten.
Einer davon war vor ein paar Jahren der ehemalige MDR-Intendant Udo Reiter. Er hatte 48 Jahre im Rollstuhl gesessen und noch wenige Wochen vor seinem Tod gesagt: „Ich möchte nicht als Pflegefall enden, will selbst sagen können, wann Schluss ist.“ Dabei wolle er nicht darauf angewiesen sein, sich vor einen Zug zu werfen oder aus dem Fenster zu springen. Auch dürfe es nicht sein, dass er gezwungen werde, zu einer Sterbehilfeorganisation in die Schweiz zu fahren. Es müsse möglich sein, dass ein Arzt ihm die zum Tode führenden Medikamente gibt. Solche Hilfe nahm Reiter selbst dann nicht in Anspruch. Er erschoss sich.
Reiters Forderung ist weiter aktuell, auch die in Karlsruhe auftretenden Kläger formulieren sie wieder und wieder. Und hoffen, dass die Karlsruher Richter ihre Bedenken berücksichtigen – anders als die Mehrheit der Bundestagsabgeordneten vor vier Jahren. Bedenken, die sie nicht nur in ihrem eigenen Interesse geltend machen, sondern auch im Interesse von vielen Menschen, die Angst haben, in einer entsprechenden Situation auf sich allein gestellt zu sein.
Muss der Staat nicht sogar selbst in Extremfällen Hilfe leisten?
Noch in einer anderen rechtlich brisanten Fallkonstellation geht es um das Thema Suizidbeihilfe. Und zwar um die Frage, inwieweit der Staat diese sogar selbst sicherstellen muss. In Extremfällen muss der Staat sterbewilligen Menschen helfen, in den Besitz tödlich wirkender Medikamente zu kommen. So hatte das Bundesverwaltungsgericht im März 2017 geurteilt. Das gelte dann, wenn die Betroffenen sich wegen ihrer unerträglichen Leidenssituation ernsthaft entschieden haben, ihr Leben zu beenden. Wenn es keine zumutbare Alternative gebe, dürfe ihnen der Zugang zu einem Betäubungsmittel, das eine würdige und schmerzlose Selbsttötung erlaubt, nicht verwehrt sein.
Das Bundesgesundheitsministerium missachtete das Urteil jedoch. Und wies das ihm nachgeordnete Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArm) an: Anträge auf Erteilung von betäubungsmittelrechtlichen Erwerbserlaubnissen für Mittel zum Zweck der Selbsttötung sollen versagt werden. Begründet wird diese Weigerung, das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts umzusetzen, so: Es könne nicht Aufgabe des Staates sein, Selbsttötungshandlungen durch behördliche Erteilung von Erlaubnissen aktiv zu unterstützen.
Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) argumentiert: „Würden wir dem Gericht folgen, geriete staatliches Handeln in die Nähe geschäftsmäßiger Beihilfe zum Suizid, was der Gesetzgeber ausdrücklich unter Strafe gestellt hat.“ Doch eben das steht jetzt in Frage: Hält Karlsruhe den Strafparagrafen für verfassungswidrig, so lässt sich jedenfalls mit diesem Argument die bisherige Missachtung des Urteils nicht mehr rechtfertigen. Dann darf nicht länger ignoriert werden, dass Sterbewillige in Extremfällen Zugang zu Betäubungsmitteln haben müssen.