Debatte über eine Reform der Pflegeversicherung Gesundheitsökonom: „Bei der Pflege die Systemfrage stellen“

Berlin · Gesundheitsökonom Glaeske mahnt die Zusammenlegung von gesetzlicher und privater Versicherung an.

Professor Gerd Glaeske von der Universität Bremen macht sich für die Zusammenlegung von gesetzlicher und privater Krankenversicherung stark.

Foto: Paul Zinken/dpa/Paul Zinken

In der aktuellen Debatte über eine Reform der Pflegeversicherung geht es vornehmlich um zusätzliche Steuermittel und eine Ausweitung der Leistungen. Für den Bremer Gesundheitswissenschaftler Gerd Glaeske ist das zu kurz gedacht. Eine echte Reform müsse auch die Zusammenlegung von gesetzlicher und privater Pflegeversicherung im Blick haben, sagte Glaeske im Gespräch mit unserem Korrespondenten Stefan Vetter:

Herr Glaeske, allein im Vorjahr kamen fast 1,4 Millionen Pflegebedürftige neu ins Pflegesystem. Wann ist die nächste Beitragserhöhung fällig?

Gerd Glaeske: Die nächste Beitragserhöhung wäre schon längst fällig gewesen. Denn die Anhebung auf 3,05 Prozent zu Jahresbeginn reicht nicht aus, um die Pflegeversicherung zu stabilisieren. Der Beitrag müsste schon jetzt um 0,15 bis 0,2 Prozentpunkte höher liegen. Aber das war offenbar politisch nicht opportun.

Mittlerweile müssen Pflegebedürftige in Heimen einen durchschnittlichen Eigenanteil von 1800 Euro im Monat zahlen. Ist die Pflegeversicherung als eine Art Teilkasko falsch konzipiert?

Glaeske: Sie war bei ihrer Einführung sicher ein großer Fortschritt. Aber inzwischen hat sich die Pflegeversicherung als sehr anfällig erwiesen. So ist der Eigenanteil der zu Pflegenden immer stärker gewachsen, weil auch die Leistungen immer teurer werden. Vor diesem Hintergrund brauchen wir tatsächlich eine Neukonzeption der Pflegeversicherung.

Um Pflegebedürftige zu entlasten, will die SPD die Eigenanteile deckeln. Eine gute Idee?

Glaeske: Das wäre ein erster Schritt, um in Zeiten steigender Altersarmut vielen Betroffenen den Gang zum Sozialamt zu ersparen. Denn bei immer mehr Pflegebedürftigen reichen die eigenen Mittel nicht mehr aus. Zwingend notwendig ist hier eine politische Grundsatzentscheidung, für die Pflegeversicherung einen Steuerzuschuss einzuführen, wie das auch schon bei der Renten- und Krankenversicherung der Fall ist.

Nun sollen Altenpfleger auch deutlich besser entlohnt werden. Drohen die Kosten unter dem Strich da nicht aus dem Ruder zu laufen?

Glaeske: Wir dürfen die Augen nicht vor der Realität verschließen. Das durchschnittliche Einkommen eines vollzeitbeschäftigten Altenpflegers liegt nur bei 2800 Euro brutto im Monat. Diese Arbeit wird gesellschaftlich viel zu wenig wertgeschätzt. Wir brauchen aber auf Dauer bis zu 80 000 Altenpfleger mehr, allein schon, um der wachsenden Zahl der Pflegebedürftigen mit Demenz gerecht zu werden. Also wird auch hier unweigerlich mehr Geld nötig sein.

Es gibt auch den Vorschlag, dass die Pflegeversicherung die reinen Pflegekosten komplett übernimmt und Unterbringungen sowie Verpflegung aus eigener Tasche zu begleichen sind. Was halten Sie davon?

Glaeske: Das wäre keine gute Alternative. Wer genug Geld hat, kann sich dann die guten Pflegheime leisten. Und wer das nicht hat, fällt praktisch hinten runter. Die Heime würden an der Wohn- und Essensqualität sparen, um Gewinne einzufahren. Auch deshalb halte ich davon nichts.

Wo müsste eine Reform Ihrer Meinung nach zuerst ansetzen?

Glaeske: Das A und O ist die Finanzierung. Sich dabei nur auf zusätzliche Steuermittel zu konzentrieren, ist zu kurz gegriffen. Vielmehr muss man die Systemfrage stellen. Derzeit sind gesetzliche und private Pflegversicherung streng getrennt, obwohl ihre jeweiligen Leistungen identisch sind. Gemessen an ihrem Einkommen zahlen Privatversicherte aber relativ gesehen einen geringeren Beitrag für die Pflege als gesetzlich Versicherte. Diese Ungleichheit lässt sich nur durch eine Zusammenlegung beider Systeme beenden. Schon damit wäre die Pflegeversicherung insgesamt nachhaltiger finanziert, als das jetzt der Fall ist.