Breites Bündnis macht bundesweit Front gegen Turbo-Abi

Berlin (dpa) - Nach der Rechtschreibreform ist das Turbo-Abi nach acht Gymnasial-Jahren die umstrittenste Entscheidung der Kultusminister. In vielen Ländern können Eltern nach heftigen Protesten bereits heute zwischen G8 und G9 wählen.

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Niedersachsen will das Turbo-Abi wieder ganz abschaffen.

Ein breites Bündnis von Eltern, Schülern, Lehrern, Ärzten und Psychotherapeuten macht sich nun bundesweit für die Rückkehr zu einer 13-jährigen Schulzeit bis zum Abitur stark. Es gebe „kein einziges pädagogisches Argument“ für das „Turbo-Abi“ nach nur acht Jahren am Gymnasium (G8), sagte die Sprecherin der Initiative, die Psychologin Anja Nostadt. Die verkürzte Schulzeit führe zu mehr Stress, mache mehr Schüler krank. Zugleich litten sportliche und kulturelle Aktivitäten.

Es war das erste Treffen der Initiativen, die es inzwischen in allen westlichen Bundesländern und zudem in Mecklenburg-Vorpommern und Brandenburg gibt. Vor gut zehn Jahren mussten die Kultusminister auf massiven Druck ihrer Länder-Regierungschefs auch im Westen die Schulzeit bis zum Abitur von zuvor 13 auf 12 Schuljahre verkürzen. In der DDR waren traditionell 12 Jahre bis zum Abi üblich. Dort gab es aber ein ausgebautes Hortsystem an den Schulen für Hausaufgabenhilfe am Nachmittag.

Die Initiativen verwiesen darauf, dass in allen Meinungsumfragen der übergroße Unmut der Eltern über das Turbo-Abi deutlich werde. Dort, wo Eltern nach erfolgreichen Protesten heute zwischen dem Abitur nach 9 oder 8 Jahren frei wählen könnten, gebe es eine „klare Abstimmung mit den Füßen hin zum längeren Lernen“, sagte Nostadt.

Als erstes Bundesland wird Niedersachsen voraussichtlich in der kommenden Woche die vollständige Rückkehr zum Abitur nach 13 Schuljahren verkünden. Mehrere Bundesländern haben Wahlmöglichkeiten eingeführt. Die Zahl dieser „G9“-Gymnasien ist allerdings häufig begrenzt. Es gibt mehr Nachfrage als Plätze.

„Schüler gewinnen mit G8 kein Jahr, sie verlieren vielmehr wertvolle Bildungszeit“, heißt es in dem gemeinsamen Aufruf der Initiativen. Die Zahl der Auslandsaufenthalte von Schülern habe abgenommen, Betriebe klagten über Wissenslücken, Hochschulen verwiesen auf die mangelnde Reife der häufig erst 17-jährigen Studienanfänger.

„Zeit zum vertieften Lernen, zum Wiederholen und Üben fehlt“, sagte die hessische Schulleiterin Karin Hechler. „Diese Abhakmentalität entspricht nicht dem Lernen eines Kindes, das sich dabei entfalten soll.“ Zugleich habe das verkürzte Abitur der „Nachhilfeindustrie“ einen wahren Boom beschert.

Die Initiativen fordern von den Kultusministern „die schnellstmögliche Rückkehr“ zur 13-jährigen Schulzeit. Zugleich soll es an den Gymnasien keine „Ganztagspflicht“ geben, wohl aber flexible und freiwillige Nachmittagsangebote, Kultur, Sport und Hausaufgabenhilfe oder Lernarbeitsgemeinschaften. Sämtliche „Optimierungsversuche“ oder Nachbesserungen in den G8-Gymnasien, wie sie etwa in Nordrhein-Westfalen oder Bayern unternommen würden, seien zum Scheitern verurteilt, sagte Nostadt.

An die Kultusminister appellierten die Initiativen, „den erklärten Elternwillen“ endlich zu akzeptieren. „Konzipieren Sie ein modernes, neunjähriges Gymnasium, in dem wieder Zeit für Persönlichkeitsbildung und Werteerziehung bleibt, aber auch Aktivitäten und Engagement außerhalb der Schule für Schüler noch möglich sind“, heißt es in dem Aufruf.