Der Öko-Sommer der Politik Die Grünen färben ab

Düsseldorf · So viel Ökologie war noch nie im politischen Sommerloch. Ob das dem Klima hilft, hängt davon ab, wie wasserfest die Farbe ist.

Politiker beinahe jeder Couleur griffen diesen Sommer inmitten der allgemeinen Verunsicherung zu jener eigentlich politisch schon besetzten Farbe: Grün.

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1994 war es der Kaiman Sammy, 2012 die Vorhautbeschneidung bei Jungen. Irgendetwas ist es immer, das die Menschen und die Medien in der Sommerzeit bewegt und erregt. 2019, so viel ist sicher, wird als das Jahr des ökologischsten Sommerlochs ever in die Geschichte eingehen.

Man weiß nicht so recht, was ausschlaggebender war: das Ergebnis der Europawahl Ende Mai, der zweite Hitzesommer in Folge, die „Fridays for Future“-Unermüdlichkeit auch in der Ferienzeit – oder das Gefühl, dass die eigene politische Performance bisher vielleicht doch lückenhafter und farbloser erschien, als einem lieb sein konnte. Jedenfalls griffen Politiker beinahe jeder Couleur inmitten der allgemeinen Verunsicherung zu jener eigentlich politisch schon besetzten Farbe, die Hoffnung, Erneuerung und Leben verheißt: Grün.

Eine erste Vorahnung, was einem in diesem Sommer bevorstehen sollte, konnte man am 3. Juni in den Düsseldorfer Rheinterrassen bekommen, als CDU-Ministerpräsident Armin Laschet von einem Pult in Falteroptik die Tagung „Insekten schützen – Artenvielfalt bewahren“ eröffnete. Und der rot-grünen Vorgängerregierung dabei bescheinigte, sie habe beim Naturschutz Gesetze gemacht, „die weiter waren als woanders in Deutschland. Das haben wir auch nicht immer so gesehen.“

Haben in diesem Sommer ihr ökologisches Herz geöffnet: NRW-Ministerpräsident Armin Laschet (CDU), die CDU-Vorsitzende Annegret Kramp-Karrenbauer, FDP-Chef Christian Lindner, der bayerische Ministerpräsident Markus Söder (CSU) und Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD; im Uhrzeigersinn v. o. l.). 

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Vom Artenschutz bis zur Baumprämie

Der Artenschutz war indes nur eine Fingerübung für denselben Ministerpräsidenten, der zuletzt in der Klimaschutz- und Kohledebatte eigentlich eher Versorgungssicherheit für die energieintensive nordrhein-westfälische Industrie angemahnt hatte. Mitte Juli mahnte er nun stattdessen einen „großen Wurf“ beim für den Herbst angekündigten Klimaschutzgesetz der Bundesregierung an. Stellte die Abschaltung der ersten Kraftwerke im Rheinischen Revier noch bis 2022 in Aussicht. Warb für die CO2-Bepreisung und den Emissionshandel. Um sich dann final an die Seite dessen zu stellen, der sowohl Rettung gegen den Klimawandel verspricht als auch unseres Schutzes bedarf: an die Seite des deutschen Waldes. Im Sommerinterview mit der „Bild am Sonntag“ forderte Laschet im August am Bodensee eine Baumprämie für alle, „die Wald aufforsten oder erhalten“. Das Foto zum Interview zeigte ihn – an einen Baum gelehnt.

In diesem Moment schloss sich ein Kreis zu dem Bundesland, das Laschet schon so oft zum Vorbild ausgerufen hat. Denn Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) ließ sich bereits Ende Juli im Garten seiner Staatskanzlei ablichten – dabei einen Baum fest im Griff.

Zugleich brannte er ein klimapolitisches Feuerwerk ab, dessen Emissionswerte alle politische Vorstellungskraft sprengten. Klimaschutz ins Grundgesetz und in Bayerns Staatsverfassung, Pflanzpläne für 30 Millionen Bäume, Streiter für das Volksbegehren Artenvielfalt, günstigere Bahntickets, Verbot von Einweg-Plastiktüten. Das Herz der Klimabewegung, konnte man meinen, schlägt im bayerischen Löwen.

Wenn da nicht Christian Lindner wäre. Seit März klebt dem FDP-Vorsitzenden zwar sein klimapolitischer Fauxpas wie Kaugummi unter den Schuhsohlen. „Ich bin für Realitätssinn. Von Kindern und Jugendlichen kann man nicht erwarten, dass sie bereits alle globalen Zusammenhänge, das technisch Sinnvolle und das ökonomisch Machbare sehen. Das ist eine Sache für Profis“, beschied er der „Fridays for Future“-Bewegung via Interview.

Traum von einer liberalen Klimaschutz-Avantgarde

Fünf Monate später, auf seiner Sommerreise, versuchte er aber nach allen Regeln der Kunst wieder die Deutungshoheit über seine Kommunikations-Katastrophe zu erlangen. Start-ups, natürlich, die waren gemeint und wurden von ihm besucht. Digitale Innovationen und Erfindergeist gegen den Klimawandel. Er wolle mit grüner Technologie den „Horizont für neues Denken“ öffnen. Lindner als der Vordenker einer liberalen Klimaschutz-Avantgarde.

An Metamorphosen dieser Art versuchte sich selbst der neue sozialdemokratische Hoffnungsträger Olaf Scholz. Als im März die ersten Eckpunkte seines Haushaltsentwurfs für 2020 bekannt wurden, flog ihm von Klimaschützern noch um die Ohren, dass er keine steuerliche Förderung der von allen Klimaexperten als dringend notwendig erachteten energetischen Gebäudesanierung vorsah. Mitte August gab Scholz dann in Berlin den klimapolitischen Versöhner: Alle Vorschläge müssten „jetzt zusammengeführt und die zur Verfügung stehenden Mittel klug eingesetzt werden“. Seine Botschaft: mehr Klimaschutz ohne neue Schulden ist möglich. Scholz als Doppelretter des Klimas und der Schwarzen Null.

Wo so viel politische Buße, Einsicht und Umkehr in der Luft liegen, durfte Annegret Kramp-Karrenbauer nicht fehlen. Die neue CDU-Vorsitzende und noch neuere Verteidigungsministerin sucht nach zähen Monaten das zündende Thema, das sie endlich aus Schusslinie bringt. Auch sie sieht keinen Grund, wegen des Klimawandels die Steuern zu erhöhen. Es gebe nicht zu wenig Steuern, sondern zu wenig Steuerung. „Das bestehende Gesamtgebäude aus Entgelten, Umlagen, Abgaben und Steuern im Energiesektor muss grundlegend umgebaut werden“, schrieb sie in einem Beitrag für die „Welt am Sonntag“.

Und weil das vielleicht ein bisschen zu nebulös klang, sorgte sie noch für zwei klimapolitische Fanfaren im Begleitprogramm: Als da wären eine Abwrackprämie für Ölheizungen und die Nachhaltigkeit als anzustrebendes Staatsziel in der Verfassung. AKK als Klimaschützerin im Grundsätzlichen.

Politische Attacke und politisches Liebeswerben in einem

Jetzt neigt sich die Sommerpause ihrem Ende und man fragt sich: Warum das alles? Und was bleibt? In erster Linie wohl ein zunehmend genervtes Publikum, das nun mühsam auseinanderklamüsern muss, wo die panikgetriebene politische Trittbrettfahrerei überwiegt und wo ein wirklich zielführendes Umdenken.

Die Umarmungsstrategie grüner Themen in der Hoffnung auf Abfärbung ist dazu ein durchaus riskantes Manöver. Einerseits will man den nach oben katapultierten Grünen ihr Erfolgsthema streitig machen und die unruhig gewordenen eigenen Wähler beruhigen. Anderseits soll auch eine inhaltliche Brücke gebaut werden zu einem möglichen Koalitionspartner von morgen. Der Öko-Sommer der Politik: Er ist politische Attacke und politisches Liebeswerben in einem.

Was davon unter dem Strich dem Klima nützt, hängt davon ab, wie wasserfest die Farbe ist. Das gilt durchaus auch für die Grünen selbst. „Der Schein trägt“ war in diesem Monat in der „Zeit“ eine Analyse grüner Programmatik überschrieben. Der Kerngedanke: Die formulierten Ziele der Partei sind deutlich zögerlicher als ihr entschiedenes Auftreten.

Die Bewährungsprobe der Regierung ist derweil das Klimaschutzgesetz, das dieses Jahr verabschiedet werden und die Einhaltung der Klimaziele für 2030 gewährleisten soll. Ein ergänzendes Maßnahmenprogramm ist ebenfalls angekündigt. Am 20. September tagt das Klimakabinett, um die Klimaschutzweichen zu stellen – einen Tag vor Beginn des UN-Klimagipfels in New York.

Alles in Bewegung also für den Klimaschutz. Alles? Nein, einer sieht nicht den geringsten Anlass, sich auch nur ansatzweise zu bewegen. Der AfD-Vorsitzende Alexander Gauland schwitzte im ZDF-Sommerinterview diesen Gedanken aus: „Ich glaube nicht, dass es gegen den Klimawandel irgendetwas gibt, was wir Menschen machen können.“