Krise als Dauerzustand Ein Chronik der Krise in Thüringen seit der Landtagswahl
Erfurt · Thüringer Wähler machen es ihren Politikern nicht leicht, eine stabile Regierung zu bilden. Der Weg seit dem Wahltag.
27. Oktober - Bei der Landtagswahl verliert die von Bodo Ramelow (Linke) geführte Koalition von Linken, SPD und Grünen ihre knappe Mehrheit. Nach der Linkspartei (31 Prozent) wird die rechtsgerichtete AfD (23,4) zweitstärkste Kraft vor der CDU (21,7). Die SPD stürzt auf 8,2 Prozent ab. Grüne (5,2) und FDP (5,0) schaffen den Einzug in den Landtag nur denkbar knapp.
28. Oktober - CDU-Fraktionsvize Michael Heym löst eine heftige Diskussion aus mit der Bemerkung, dass seine Partei auch ein Bündnis mit der AfD nicht ausschließen solle - was ein Parteitagsbeschluss allerdings ebenso ausschließt wie ein Bündnis mit der Linken.
30. Oktober - Die bisherige rot-rot-grüne Koalition will trotz nun fehlender Mehrheit weiter zusammenarbeiten. Wegen der Einbußen von SPD und Grünen fehlen ihr vier Stimmen zu einer Mehrheit.
31. Oktober - CDU-Spitzenkandidat Mike Mohring bringt eine Minderheitsregierung seiner Partei mit SPD, Grünen und FDP ins Gespräch. Diesem Bündnis fehlen sieben Sitze zu einer Mehrheit.
6. November - Mohring schließt eine Koalition oder Kooperation mit der Linken ebenso aus wie mit der AfD.
24. November - Mohring gibt den Anspruch auf ein Regierungsamt auf. Seine Fraktion werde keinen Kandidaten aufstellen.
26. November - Mit Birgit Keller wird erstmals eine Linke-Politikerin an die Spitze des Erfurter Parlaments gewählt.
6. Dezember - CDU und FDP erklären, ein Gesprächsangebot von Rot-Rot-Grün anzunehmen. Dabei gehe es um Zusammenarbeit unterhalb von Unterstützung, Duldung oder Tolerierung.
6. Januar - Thüringens Ex-Ministerpräsident Dieter Althaus (CDU) bringt die Idee einer „Projektregierung“ ins Spiel.
12. Januar - Unter Moderation von Alt-Bundespräsident Joachim Gauck treffen sich Ramelow und Mohring.
13. Januar - Erstmals sprechen Spitzenpolitiker von Linke, CDU, SPD, Grüne und FDP direkt miteinander darüber, wie Mehrheiten im Parlament gefunden werden können.
15. Januar - Linke, SPD und Grüne verständigen sich auf einen rund 60 Seiten starken Regierungsvertrag. Die Wahl eines Ministerpräsidenten soll Anfang Februar stattfinden.
22. Januar - Die AfD kündigt die Aufstellung eines eigenen Kandidaten für den Posten des Ministerpräsidenten an.
24./25. Januar - Parteitage von Thüringer SPD und Grünen machen den Weg für eine rot-rot-grüne Minderheitsregierung frei.
3. Februar - Nach langwierigen Diskussionen über das verfassungsgemäße Verfahren bei der Wahl des neuen Ministerpräsidenten läuft die Frist für Wahlvorschläge aus. Für die AfD tritt der parteilose Bürgermeister Christoph Kindervater an. Die FDP schickt ihren Landeschef Thomas Kemmerich ins Rennen.
3. Februar - In einer Mitgliederbefragung der Linken wird der Regierungsvertrag für die rot-rot-grüne Minderheitsregierung angenommen.
5. Februar - Der FDP-Politiker Thomas Kemmerich wird im dritten Wahlgang zum Regierungschef von Thüringen gewählt - mit Unterstützung der Fraktionen von CDU und AfD. Kemmerich nimmt die Wahl an - zur Verwunderung vieler Beobachter. Ein politisches Beben geht durch Deutschland.
6. Februar - Kanzlerin Angela Merkel (CDU) kritisiert die Wahl Kemmerichs mit AfD-Stimmen als „unverzeihlich“. Das Ergebnis müsse rückgängig gemacht werden, sagt Merkel - und stellt sich damit indirekt hinter Neuwahl-Forderungen.
8. Februar - Kemmerich tritt mit sofortiger Wirkung zurück. Er ist damit nur noch geschäftsführend und ohne Minister im Amt.
9. Februar - Der Ost-Beauftragte der Bundesregierung, der Thüringer Christian Hirte, tritt nach einem heftig kritisierten Lob für die Ministerpräsidenten-Wahl in Thüringen zurück - auf Drängen Merkels.
13. Februar - Der FDP-Vorsitzende Christian Lindner entschuldigt sich in einer Bundestagsdebatte, dass sich sein Parteikollege Kemmerich mit AfD-Stimmen wählen ließ. „Wir sind beschämt, weil wir der AfD ermöglicht haben, uns und darüber hinaus die parlamentarische Demokratie zu verhöhnen“, sagt er.
14. Februar - Politisches Novum: Erstmals seit der Wiedervereinigung ist Thüringen bei einer Bundesratssitzung nicht vertreten.
14. Februar - Thüringens CDU-Chef Mohring kündigt als Konsequenz aus der Krise seinen Rückzug als Landesparteichef an.
15. Februar - Tausende Menschen protestieren in Erfurt gegen die Ministerpräsidentenwahl mit AfD-Stimmen. Die Veranstalter - der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) und die Initiative „Unteilbar“ - sprechen von 18 000 Teilnehmern, die Polizei von 9000.
17. Februar - Ramelow schlägt die frühere CDU-Ministerpräsidentin Christine Lieberknecht als Chefin einer „technischen Regierung“ vor. Sie soll das Land in schnelle Neuwahlen führen.
18. Februar - Die CDU-Landtagsfraktion geht nur teilweise auf den Ramelow-Vorschlag ein und stellt Bedingungen. Schnelle Neuwahlen lehnt sie ab.
19. Februar - Lieberknecht zieht ihre Bereitschaft, als Interimsministerpräsidentin zu agieren, zurück. Der Grund: die sehr unterschiedlichen Vorstellungen von Linke, SPD und Grünen sowie der CDU über den Zeitpunkt von Neuwahlen.
21. Februar Linke, SPD und Grüne einigen sich mit der CDU auf eine Ministerpräsidentenwahl am 4. März. Dafür will die Linke-Fraktion erneut Ex-Regierungschef Ramelow vorschlagen. Zudem verständigen sich die Parteien auf eine Neuwahl am 25. April 2021.