Fachkräftemangel: Mehr Qualifikation und mehr Zuwanderung

Meseberg (dpa) - Die Wirtschaft ruft nach mehr Fachkräften und möchte am liebsten die Tore für gut ausgebildete junge Ausländer weit öffnen. Doch auch der deutsche Fachkräftenachwuchs soll besser qualifiziert und mehr Frauen in Beschäftigung gebracht werden.

„Wir müssen sowohl die Arbeitskräfte im Land ausschöpfen als auch sachgerechte Zuwanderung in unsere Gesellschaft ermöglichen“, sagte Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) nach einem Spitzentreffen mit Vertretern von Wirtschaft und Gewerkschaften am Mittwoch auf Schloss Meseberg.

Die Kanzlerin sieht dabei Regierung wie Tarifpartner gleichermaßen gefordert. Für die Frauen etwa müsse die Vereinbarung von Beruf und Familie weiter verbessert werden. Zugleich müsse die schulische Bildung insgesamt gestärkt und lebenslange Qualifizierung zum Normalfall werden. Zu der in der Koalition nicht unumstrittenen Frage einer erleichterten Zuwanderung für ausländische Fachkräfte sagte Merkel: „Es wartet nicht die ganze Welt darauf, bei uns arbeiten zu können. Wir müssen dazu auch einladen.“

Das Bundeskabinett hatte dazu am Vormittag ein Fachkräftekonzept beschlossen. Weil besonders viele Stellen für Ärzte und Ingenieure derzeit nicht besetzt werden können, sollen diese künftig unbürokratisch auch von außerhalb der EU angeworben werden können. Umstritten ist in der Koalition allerdings noch, ob dazu die bisherige Einkommensgrenze für ausländische Experten von 66 000 Euro auf etwa 40 000 Euro reduziert wird.

Arbeitsministerin Ursula von der Leyen (CDU) sagte, man werde in den nächsten Wochen diskutieren, ob die bisherige Einkommensgrenze „noch lebensnah“ sei. Die Gehaltsgrenze müsse im internationalen und insbesondere im europäischen Vergleich harmonisiert werden.

Arbeitgeberchef Dieter Hundt warnte erneut davor, dass durch den Fachkräftemangel „eine Bremse für Beschäftigung und Wachstum“ entsteht. Hundt versicherte, man werde sich gemeinsam um eine Lösung bemühen und sich dabei nicht auseinanderdividieren lassen.

Auch DGB-Chef Dieter Sommer bekundete den Willen zu einer gemeinsamen Strategie. Es sei ein „Fortschritt, dass wir nach Überwindung der Krise Zukunftsthemen wieder in den Blick nehmen können.“ Für die Gewerkschaften gebe es dabei aber klare Prioritäten. Sommer: „Wir wollen die Probleme zuallererst im Inland lösen.“

Die Kanzlerin hatte zuvor bei dem Treffen darauf verwiesen, dass wegen der demografischen Entwicklung in den nächsten 15 Jahren die Zahl der Erwerbspersonen um rund 6,5 Millionen abnehmen werde. Einig sind sich alle Beteiligten, dass der Bedarf an Fachkräften vorrangig mit einheimischen Arbeitskräften gedeckt werden soll. „Notwendig ist ein Konzept, das in erster Linie die inländischen Potenziale bestmöglich ausschöpft“ und präventiv fördert, heißt es in der gemeinsamen Erklärung für das Meseberger Spitzentreffen.

Nach dem Kabinettsbeschluss soll aber auch auf die Vorrangprüfung für Ärzte und Ingenieure zweier Fachrichtungen von außerhalb der EU verzichtet werden. Vizekanzler und Wirtschaftsminister Philipp Rösler (FDP) sagte, Deutschland brauche in jedem Fall qualifizierte Zuwanderung. „Ich bin sicher, dass wir auch über den Tag heute hinaus weitere Maßnahmen auf den Weg bringen, um dem Fachkräftemangel in Deutschland erfolgreich begegnen zu können.“

Von der Leyen betonte, dass es vor allem um Spitzenleute aus dem Ausland gehe. „Unqualifizierte brauchen wir nicht, wir haben genug damit zu tun, unsere Geringqualifizierten weiterzubilden.“ Parallel müssten aber auch die schlummernden Potenziale bei Frauen und Älteren im Inland besser genutzt werden.

Wohlwollend äußerte sich von der Leyen zur Forderung von Wirtschaftsverbänden und der FDP, die Zuwanderung nach bestimmten Kriterien wie etwa in Kanada zu steuern. „Teile solch eines Punktesystems sind klug, nämlich die klare Ansage, was jemand, der ins Land kommen will, können muss, damit er zu uns passt.“

DGB-Chef Sommer äußerte sich kritisch zu einer niedrigeren Einkommensgrenze bei der Zuwanderung. „Die Unternehmen wollen Billig-Hochqualifizierte - gute Qualifikation erwünscht, aber schlecht bezahlt. Das ist eine Schande“, sagt er der „Passauer Neuen Presse“.