Vor Dreikönigstreffen FDP-Chef Lindner wirbt um die politisch „Heimatlosen“
Berlin · Standortbestimmung am Jahresanfang: Nächste Woche kommt die FDP zu ihrem Dreikönigstreffen in Stuttgart zusammen. Parteichef Lindner macht schon mal eine Ansage.
Die FDP ist nach den Worten ihres Vorsitzenden Christian Lindner nach der nächsten Bundestagswahl zu neuen Verhandlungen über eine Jamaika-Koalition bereit. „Mit uns kann man immer sprechen - über jede Form“, sagte Lindner der Deutschen Presse-Agentur in Berlin. „Jeder muss aber wissen, wir wollen nur in eine Regierung eintreten, wenn das Land vorangebracht wird. Und wenn es eine Bereitschaft zu einem fairen Miteinander gibt, wo jede Partei Grundüberzeugungen umsetzen kann.“
Nach der Bundestagswahl 2017 hatten Union, Grüne und FDP wochenlang über die Bildung einer Jamaika-Koalition verhandelt. Die FDP ließ diese schließlich platzen. Es gebe keine gemeinsame inhaltliche Grundlage und keine Vertrauensbasis, meinte Lindner damals zur Begründung: „Es ist besser, nicht zu regieren als falsch zu regieren.“
Dieser Satz habe „stark polarisiert“, sagte Lindner jetzt. Die FDP liege in den Umfragen stabil bei etwa neun Prozent, habe aber ein größeres Potenzial. „Unser Ziel ist, bei der nächsten Bundestagswahl klar zweistellig zu werden. Nach meiner Beobachtung gibt es eine relativ große Zahl von Leuten, die für die FDP offen sind, die sich aber in einer Art Warteschleife befinden.“ Bei der Bundestagswahl 2017 hatten die Liberalen 10,7 Prozent der Stimmen erzielt.
„Es gibt Millionen Menschen, die gegenwärtig politisch das Gefühl der Heimatlosigkeit haben“, sagte Lindner weiter. CDU, SPD und Grüne seien kaum noch voneinander zu unterscheiden. Sie verteuerten das Leben, machten Vorgaben für das Privatleben, Arbeitsplätze würden durch eine unvernünftige Industriepolitik unsicher. Die AfD stehe für Rassismus, wolle das Land abschotten und hege völkisches Gedankengut. Damit sei sie für bürgerliche Menschen unwählbar. Und die Linkspartei verlange Verstaatlichungen von privatem Eigentum wie in Venezuela. Auch das könne keine Alternative sein.
Lindner sieht Groko noch nicht am Ende
„Das ist für die FDP ein Potenzial von Menschen, die uns gegenwärtig gar nicht auf dem Zettel haben“, sagte Lindner. „Weil sie immer noch das schon immer falsche, aber mehr denn je unrichtige Vorurteil haben, die FDP sei eine Partei nur für einige wenige in der Gesellschaft, weil wir nur die Interessen von einigen wenigen vertreten wollten.“
Der FDP-Vorsitzende hält es für nicht unwahrscheinlich, dass Union und SPD trotz ihrer Streitigkeiten bis zum Ende der Wahlperiode 2021 weiterregieren werden. Er kritisierte: „Die große Koalition denkt klein und hat sehr viel damit zu tun, den eigenen Laden zusammenzuhalten. Große Gestaltungsprojekte gibt es nicht.“
„Beim Staatsschiff steht das Ruder frei. Keiner gibt einen Kurs vor. Wir driften. Unser Land hat ein Interesse daran, dass es wieder eine Richtung gibt, die wir beschreiten, und dass man sagt: Volle Kraft voraus bei den großen Fragen.“ Deutschland befinde sich in einer Stagnation, warnte Lindner. Es gebe keine große ökonomische Krise, aber es drohe ein politisch-wirtschaftlicher Abstieg.
Bei Scheitern der Groko hält sich FDP bereit
„Hier liegt das Problem: Der Abstieg vollzieht sich so schleichend, dass er kurzfristig vielleicht gar nicht wahrgenommen wird. Deshalb gibt es keine Alarmstimmung. Es gibt kein Gefühl von großer Dringlichkeit, dass wir uns verändern müssten, wie zu den Zeiten, als es in Deutschland noch fünf Millionen Arbeitslose gab.“
Sollte die GroKo doch vorzeitig scheitern, hält der FDP-Chef eine unionsgeführte Minderheitsregierung für einige Monate für wahrscheinlich. Diese müsste sich dann von Fall zu Fall im Bundestag Mehrheiten suchen. Für die FDP gelte dann: „Wir begleiten konstruktiv alle politischen Vorhaben, die unser Land in die richtige Richtung bringen. Vor und nach neuen Wahlen kann man mit uns immer sprechen, wenn es darum geht, Gutes für unser Land zu bewirken.“
Man könne auf die FDP zukommen und mit ihr über konkrete Vorhaben sprechen. „Und bei Vorhaben, die in die richtige Richtung gehen, würden wir niemals Opposition um der Opposition willen machen“, versicherte Lindner. „Wir haben das bei Grundgesetzänderungen in der jüngsten Vergangenheit bewiesen, etwa als es darum ging, in der Frage des Bildungsföderalismus eine stärkere Mitfinanzierungs- und Koordinierungsmöglichkeit des Bundes in der Verfassung zu verankern.“