Flüchtlings-Kompromiss soll schnell Gesetz werden
Berlin (dpa) - Unter dem Druck steigender Flüchtlingszahlen wollen Bund und Länder die Neuausrichtung der Asylpolitik im Eiltempo durch Kabinett, Bundestag und Bundesrat bringen.
Die geplanten schärferen Asylregeln, schnelleren Verfahren und die Einstufung weiterer Balkanstaaten als „sichere Herkunftsländer“ sollen schon im November in Kraft treten. Dafür zeichnet sich eine Mehrheit auch im Bundesrat ab.
Trotz Bedenken wollen Länder mit grüner Regierungsbeteiligung dem Paket zustimmen. Städte und Gemeinden forderten die Länder auf, die vom Bund zugesagten Milliarden auch weiterzuleiten.
Am Donnerstagabend hatten sich Bund und Länder auf eine Kostenteilung verständigt sowie ein umfangreiches Gesetzespaket vereinbart. Der Bund stockt seine Hilfe für die Länder nochmals auf gut vier Milliarden im nächsten und zwei Milliarden Euro in diesem Jahr auf. Ab 2016 beteiligt er sich dauerhaft an Flüchtlingskosten.
Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) will zudem erreichen, dass das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) 3000 zusätzliche Stellen bekommt. Ziel sei eine Personalstärke von 6300 Mitarbeitern. Derzeit hat die Behörde, die für die Bearbeitung aller Asylanträge in Deutschland zuständig ist, mehr als 3000 Mitarbeiter.
Kanzleramtsminister Peter Altmaier (CDU) sagte, das Bundeskabinett werde den Gesetzentwurf am Dienstag beschließen. Im Bundestag wird das Paket ebenfalls bereits nächste Woche beraten, Mitte Oktober soll es in Parlament und Länderkammer beschlossen sein. Im Bundesrat sind Union und SPD auf die Grünen angewiesen. Mindestens zwei der von den Grünen mitregierten Länder müssen zustimmen.
Die Einigung über Milliardenhilfen des Bundes und mehr Konsequenz gegen chancenlose Asylbewerber sei trotz Kritik im Detail akzeptabel, heißt es in einer Erklärung grüner Spitzenpolitiker. „Vor dem gesamten Hintergrund ist das Paket eine tragfähige Grundlage für das weitere Gesetzgebungsverfahren.“
Die Grünen bemängeln zwar, Leistungskürzungen für Ausreisepflichtige oder die Ausweitung der „sicheren Herkunftsländer“ seien schwer tragbar. Es seien aber auch ein legaler Zugang für Menschen vom Westbalkan zum deutschen Arbeitsmarkt, eine direkte Unterstützung der Minderheiten auf dem Balkan und eine regelmäßige Überprüfung der sicheren Herkunftsländer erkämpft worden.
„Wir haben damit faktisch den Einstieg in ein Einwanderungsgesetz geschaffen“, heißt es in der Erklärung von Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann, grünen Vize-Regierungschefs sowie der Partei- und Fraktionsvorsitzenden auf Bundesebene.
Die kommunalen Spitzenverbände begrüßten die meisten Maßnahmen. Städtetags-Präsidentin Eva Lohse erklärte aber: „Wir erwarten und fordern nun von den Ländern eine Weitergabe der Mittel für die finanziellen Aufwendungen der Kommunen.“ Der Hauptgeschäftsführer des Landkreistages, Hans-Günter Henneke, bemängelte, dass Landkreise und Städte „nach wie vor am Tropf der Länder“ hingen. Für Arbeitgeberpräsident Ingo Kramer blieben die Beschlüsse hinter den Zusagen der Koalitionsspitzen zurück. In der „Rheinischen Post“ forderte er weitere Lockerungen in der Beschäftigungspolitik.
Vize-Kanzler Sigmar Gabriel (SPD) plädierte angesichts der Rolle Russlands im Bürgerkrieg Syriens für ein Ende der Sanktionen gegen Moskau. „Wir werden unser Verhältnis zu Russland ändern müssen.“ Es könnten nicht einerseits Sanktionen dauerhaft aufrechterhalten und andererseits um Zusammenarbeit mit gebeten werden, so der SPD-Chef. Der Ukraine-Konflikt könne das Verhältnis zu Moskau nicht so stark belasten, dass Russland als Partner in Syrien ausfalle.
Die Bund-Länder-Einigung ist aus Sicht Gabriels nicht nur ein Beitrag zur Integration von Asylbewerbern. Der soziale Wohnungsbau werde insgesamt gestärkt, ebenso die aktive Arbeitsmarktpolitik. Die Herausforderungen dürften nicht kleingeredet werden. Jeder müsse seine Ängste auch äußern können. Gabriel geht weiter davon aus, dass in diesem Jahr mehr als 800 000 Flüchtlinge nach Deutschland kommen.
Kritik an den jüngsten Entwicklungen kam kurz nach dem Gipfel von de Maizière. „Wir sind jetzt dabei, die Dinge wieder etwas zu ordnen“, sagte er im ZDF. „Außer Kontrolle geraten ist es mit der Entscheidung, dass man aus Ungarn die Menschen nach Deutschland holt. Das war eine so große Zahl, dass es nicht mehr geordnet ging.“ Ähnlich hatten sich CSU-Politiker geäußert. Beobachter werteten das als Kritik an Kanzlerin Angela Merkel (CDU), die Anfang September in Ungarn festsitzenden Flüchtlingen die Einreise erlaubt hatte. De Maizière wies die Einschätzung zurück: „Das ist grottenfalsch.“