Förderung für Hartz-IV-Kinder: Weltfremd und viel zu bürokratisch
Sozialverbände ziehen verheerende Bilanz über Förderhilfen für Hartz-IV-Kinder
Berlin. Zu wenig, viel zu bürokratisch und wirklichkeitsfremd - fünf Jahre nach Einführung des so genannten Bildungs- und Teilhabepakets für 2,7 Millionen Kinder in Hartz-IV-Haushalten haben Sozialorganisationen eine verheerende Bilanz gezogen. "Dieses Paket ist gescheitert", sagte der Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Gesamtverbandes, Ullrich Schneider, am Donnerstag in Berlin.
Die politische Aufregung war groß, als das Bundesverfassungsgericht Anfang 2010 die Bemessung der Grundsicherung für Kinder armer Eltern als grundgesetzwidrig einstufte. Tenor des Urteils: Um sie stärker in die Gemeinschaft zu integrieren, sollten die Bedarfe der Kinder nicht "ins Blaue hinein" geschätzt, sondern eigenständig ermittelt werden.
Mit dem daraufhin beschlossenen Bildungs- und Teilhabepaket wollte die damalige schwarz-gelbe Bundesregierung dem Urteil Rechnung tragen. Zu den Leistungen gehören Zuschüsse von monatlich zehn Euro zu Vereinsbeiträgen oder dem Nachhilfeunterricht. 100 Euro sind pro Schuljahr für Lernmittel vorgesehen. Hinzu kommen Beihilfen für Klassenfahrten und für ein warmes Mittagessen in der Schule.
Kritiker hatten schon bei Einführung des Pakets vor einem bürokratischen Monster gewarnt. Diese Befürchtung sieht der Paritätischen Gesamtverbandes jetzt vollauf bestätigt. Ob für den Ausflug in das Puppentheater für sieben Euro, oder die Abschlussfahrt für 450 Euro, stets müssten Anträge ausgefüllt, Unterschriften eingeholt, Unterlagen angefordert und Kopien gemacht werden, klagte Schneider. Die Folge ist nach den Erfahrungen von Praktikern, dass in Schulen mit einem hohen Anteil bedürftiger Kinder weniger Ausflüge stattfinden.
Es ist zu aufwändig. Der Präsident des Kinderschutzbundes, Heinz Hilgers, berichtete überdies von einem Fall, in dem eine Schule eigens eine Verwaltungskraft für die genaue Abrechnung des warmen Mittagessens eingestellt hat. Laut Gesetz müssen die Betroffenen einen Eigenanteil von einem Euro pro Mahlzeit zahlen. Dies sei mit einem enormen bürokratischen Aufwand verbunden, so Hilgers.
Die einstige Sozialministerin Ursula von der Leyen (CDU) wollte ursprünglich elektronische Chipkarten für alle anfallenden Zahlungen einführen. Diese sollten von den zuständigen Jobcentern mit entsprechenden Beträgen aufgeladen werden, um damit einfach zum Beispiel eine Vereinsmitgliedschaft oder eben das Schulessen zu bezahlen. Doch das Projekt scheiterte seinerzeit an der im Bundesrat dominierenden SPD, die darin eine Stigmatisierung von Kindern armer Eltern sah.
Nach Auskunft des Bundesarbeitsministeriums kostete das Bildungs- und Teilhabepaket 2014 gut 531 Millionen Euro. Oben drauf kämen aber noch 182 Millionen Euro an Verwaltungskosten, erläuterte Schneider. Das entspricht knapp einem Drittel der verausgabten Mittel.
Einen weiteren zentralen Schwachpunkt sehen die Sozialverbände in der dürftigen Nutzung von Nachhilfeangeboten. Nur vier Prozent der Hartz-IV-Kinder nehmen entsprechende Zuschüsse in Anspruch. Dabei hätten gerade sie es am nötigsten, wie zahlreiche Studien belegen. Neben bürokratischen Hürden spiele hier die nur sehr niedrige Beihilfe von zehn Euro monatlich eine Rolle, erklärte Scheider.
Zum Vergleich: Einer Untersuchung der Bertelsmann Stiftung zufolge investieren Eltern, die es sich leisten können, durchschnittlich 87 Euro pro Monat in die private Nachhilfe für ihre Kinder, damit sie den Schulstoff schaffen. Auch die Zehn-Euro-Gutscheine für Sportvereine oder den Musikunterricht werden nur von etwa jedem achten bedürftigen Kind genutzt. Hier sei die Leistung ebenfalls "völlig unzureichend", bemängelte Schneider.
Das Bundesarbeitsministerium hatte bereits im vergangenen Jahr festgestellt, dass die Angebote für Bildung und Teilhabe "offenbar von einem großen Teil der potenziell Berechtigten nicht in Anspruch genommen werden". Doch Konsequenzen gab es keine.