Gauck folgt seinem Herzen — nach Polen
Seine erste Auslandsreise führt den Bundespräsidenten ins Nachbarland.
Warschau. Seine erste Auslandsreise führt Bundespräsident Joachim Gauck am Montag nach Warschau. Polen ist für den ostdeutschen „Freiheitslehrer“ so etwas wie ein Vorbild. Jahrhundertelang kämpften die Menschen dort mutig für ihre Unabhängigkeit. Als in den 70er und 80er Jahren in der DDR das Honecker-Regime alles Individuelle zu erdrücken drohte, revoltierte in Danzig die Solidarnosc.
Doch Gauck hadert auch mit den Polen. Dass die einstigen Solidarnosc-Führer um Lech Walesa einen „dicken Schlussstrich“ unter die kommunistische Vergangenheit zogen, ärgert den langjährigen Herrn über die Stasi-Akten bis heute.
Dennoch will sich Gauck für das deutsch-polnische Verhältnis stark machen. Bereits für andere Bundespräsidenten war Polen ein Herzensanliegen oder ein Gewinnerthema. Richard von Weizsäcker, der als Soldat an der Ostfront gekämpft hatte, ging „wegen Polen in die Politik“ und bekannte: „Versöhnung ist unsere wichtigste Aufgabe.“
Horst Köhler, der 1943 im südostpolnischen Heidenstein geboren ist, betonte: „Meine Herkunft macht mich besonders empfindsam für die Erkenntnis, dass von deutschem Boden nie wieder Krieg ausgehen darf.“ Auch Christian Wulff pflegte die Beziehungen zum östlichen Nachbarn. Mit Polens Präsident Bronislaw Komorowski kam er in seiner kurzen Amtszeit fast ein Dutzend Mal zusammen.
Das deutsch-polnische Verhältnis ist gut. Der Streit um das „richtige“ Gedenken an Weltkriegsverbrechen, Flucht und Vertreibung, hat beide Seiten ebenso wenig entzweien können wie die antideutsche Attitüde der Kaczynski-Zwillinge oder der Bau der deutsch-russischen Ostseepipeline.
Doch die Chancen, die sich der Bundesregierung bieten, seit in Warschau der pro-deutsche Premier Donald Tusk regiert, nutzt Kanzlerin Angela Merkel kaum. Tusk ist ein überzeugter Europäer. Er betreibt eine vorbildliche Stabilitäts- und Wachstumspolitik. Und er will sein Land in die Euro-Zone führen.
In dieser Situation bietet sich für Gauck die Chance, in Warschau über frühere Sonntagsredner hinauszugehen. Wenn es ihm gelingt, sich von der Last der Vergangenheit zu lösen und Europas Zukunft zum deutsch-polnischen Schwerpunktthema zu machen, könnte er seine soeben verkündete Devise „Mehr Europa wagen“ mit einem ersten Inhalt füllen.