Streitpunkt Migration Hartes Ringen bei Jamaika-Sondierungen
Berlin (dpa) - Mit einem Bekenntnis zur Verantwortung für das Land haben die Jamaika-Unterhändler in der Schlussrunde um eine gemeinsame Linie für ein Bündnis gerungen. Die Verhandlungen sollten eigentlich am Sonntagabend bis 18.00 Uhr abgeschlossen sein, gingen aber in die Verlängerung.
Zentraler Streitpunkt war das Thema Migration. CDU, CSU und FDP wollen eine Begrenzung der Zuwanderung. Die Grünen wollten dies nicht, unterstrich CSU-Generalsekretär Andreas Scheuer am Abend in der ZDF-Sendung „Berlin direkt“. Um diesen Punkt habe es neben den Themen Klima, Energie und Finanzen die größten Diskussionen gegeben.
Die große Koalition von Union und SPD hatte den Familiennachzug für Flüchtlinge mit eingeschränktem Schutzstatus 2016 für zwei Jahre bis zum März 2018 ausgesetzt. Die Grünen verlangten, dass er anschließend wieder zugelassen wird. CDU, FDP und vor allem CSU lehnten dies ab. Teilnehmerkreise machten am Rande der Sitzung darauf aufmerksam, dass die Grünen in diesem Streitpunkt in einer relativ komfortablen Lage seien.
Denn sollten sich die Jamaika-Parteien nicht verständigen können und Neuwahlen nötig sein, werde von März 2018 an automatisch die alte Rechtslage mit unbegrenztem Familiennachzug auch für Flüchtlinge mit eingeschränktem Schutzstatus wieder in Kraft treten. Bis dahin erscheine es in diesem Fall ausgeschlossen, dass es eine handlungsfähige Regierung gebe.
Eine Einigung insgesamt ist Voraussetzung für die Aufnahme formeller Koalitionsverhandlungen. Für den Fall eines Scheiterns lehnte der SPD-Vorsitzende Martin Schulz erneut eine Regierungsbeteiligung seiner Partei ab. „Der Wähler hat die große Koalition abgewählt“, sagte er bei einer SPD-Konferenz.
Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier rief alle Seiten auf, ihrer Verantwortung gerecht zu werden. Es bestehe kein Anlass für „panische Neuwahldebatten“. Der „Welt am Sonntag“ sagte Steinmeier: „Wenn jetzt von den Jamaika-Verhandlern hart um große Fragen wie Migration und Klimaschutz gerungen wird, muss das kein Nachteil für die Demokratie sein.“
CSU-Chef Horst Seehofer betonte vor Beginn der neuen Sondierungsrunde, seine Partei sei „willens, eine stabile Regierung zu bilden“. Grünen-Chef Cem Özdemir mahnte die Jamaika-Partner mit Blick auf die weltweiten Krisen und den stärker werdenden Rechtspopulismus in Europa, man müsse bereit sein, sich zu bewegen, aus Verantwortung oder auch „Patriotismus für das Land“.
Die Verhandlungen verliefen sehr unübersichtlich. Immer wieder wurden tatsächliche oder angebliche Kompromissvorschläge gemacht, die dann zum Teil wieder in Frage gestellt wurden. Nach der Runde am Samstag hieß es in Teilnehmerkreisen, beim Streitpunkt Migration hänge es vor allem an der Regelung für den Familiennachzug von Flüchtlingen. Wenn hier eine Lösung gefunden werden könne, seien auch die Themen Klimaschutz und Energiepolitik lösbar. Der Klimaschutz und der Umgang mit Kohlekraftwerken sind für die Grünen besonders wichtig.
Dem Vernehmen nach hatten die Grünen der CSU beim Thema Zuwanderung ein Kompromissangebot gemacht. Demnach soll die Zahl von 200 000 Flüchtlingen pro Jahr als flexibler Rahmen gelten. Die Grünen betonen, dass diese Zahl seit der Wiedervereinigung nur in fünf Jahren überschritten worden sei. „Deswegen wollen wir in diesem Rahmen auch in Zukunft handeln, gerade mit Blick auf die Integrationsmöglichkeit in den Kommunen.“ Der Familiennachzug für Flüchtlinge mit eingeschränktem Schutzstatus dürfe nicht grundsätzlich ausgeschlossen werden, wie dies bislang vor allem die CSU fordert.
Der frühere Bundesarbeitsminister Norbert Blüm (CDU) forderte seine Partei auf, einen uneingeschränkten Familiennachzug für Flüchtlinge zu ermöglichen. Ehe und Familie seien auf Dauer angelegt, Ehemann und -frau gehörten zusammen und Kinder zu ihren Eltern. Das gelte immer und überall, unabhängig von Staatsangehörigkeit, Religion und Zahl der Betroffenen, schrieb er in einem Gastbeitrag für die „Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung“.
Beim Ringen um das Einhalten der Klimaziele spitzt sich die Debatte auf die Frage zu, ob die Kohleverstromung in einer Größenordnung von höchstens fünf oder sieben Gigawatt reduziert wird. Die Grünen hatten eine Reduzierung um acht bis zehn Gigawatt gefordert. Union und FDP wollten ursprünglich nur drei bis maximal fünf Gigawatt zugestehen. Kanzlerin Angela Merkel (CDU) bot dann sieben Gigawatt an. Die FDP schlug dem Vernehmen nach vor, fünf Gigawatt bis 2020 abzuschalten und die Reduzierung weiterer zwei Gigawatt im Regierungshandeln offen zu prüfen.
Die Jamaika-Parteien hatten ihre Sondierungen ein weiteres Mal verlängert. Eigentlich wollte sie 18.00 Uhr am Sonntagabend fertig sein. Zunächst wollten sie schon in der Nacht zum Freitag die Sondierungen abschließen. Am Freitagmorgen hatten sie die Beratungen auf den Nachmittag vertagt und über das Wochenende weiter verhandelt.