Integration Hermann Gröhes Mission: Vorleseangebote in Flüchtlingsheimen

Hermann Gröhe (CDU) besuchte eine Neusser Erstaufnahmeeinrichtung für Flüchtlinge und stellte sein Projekt vor.

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Neuss. Versorgungsstärkungsgesetz der Gesetzlichen Krankenversicherung, Pflegeberufsgesetz, Gebührenordnung für Ärzte, Apothekenbetriebsordnung — und jetzt das: „Mein erstes Wörterbuch“. Hermann Gröhe (CDU) hat sonst eher mit sperriger Materie zu tun. Am Montag ist der Bundesgesundheitsminister einmal in intellektuell übersichtlicherer Mission unterwegs.

In der Neusser Erstaufnahmeeinrichtung für Flüchtlinge stellt der Politiker, der hier seinen Wahlreis hat, seine Prominenz in den Dienst eines Projekts, das läppisch klingen mag. Das aber für die Integration von Flüchtlingskindern einen großen Stellenwert haben kann. Stellvertretend für die etwa 70 Kinder, die sich derzeit in der Einrichtung aufhalten, übergibt Gröhe einigen von ihnen besagtes Wörterbuch: „Auf der Baustelle“, „Ein Tag im Wald“, „Was kann man im Laden kaufen?“ sind einige der Kapitel in dem Bilderbuch überschrieben.

Nicht nur das Bilderbuch haben Gröhe und Thomas Rachel, Staatssekretär im Bundesbildungsministerium, mitgebracht. Eine reich gefüllte Medienbox haben sie auch im Gepäck. Darin: Bücher, Spiele, Liedersammlungen, die den Flüchtlingskindern auf spielerische Weise den Umgang mit dem Alltag in Deutschland näherbringen sollen.

Rachel erklärt den Sinn des Projekts, den das Bildungsministerium bundesweit zusammen mit der Stiftung Lesen in den Erstaufnahmeeinrichtungen hat anlaufen lassen: „Erstaufnahmeeinrichtungen sind für viele Flüchtlingsfamilien der Ausgangspunkt für ihr neues Leben in Deutschland.“ Schon hier werde der Grundstein für eine erfolgreiche Integration gelegt. „Regelmäßige Vorleseangebote helfen bei der Orientierung in einer neuen Umgebung.“

Melitta Göres von der Stiftung Lesen macht deutlich, dass es nicht Anspruch des Projekts sei, den Kindern oder auch ihren Eltern Deutsch beizubringen. „Sie sollen erst einmal mit der deutschen Sprache in Berührung kommen. Sie hören, sie aufnehmen. Deutsch soll nicht mehr fremd klingen, sondern vertraut.“ Und dann könnten die Kinder die ersten Schritte gehen, sich selbst aus-probieren.

Eben das gelingt schon großartig in der Neusser Einrichtung, wo sich die Flüchtlingskinder sehr gut vorbereitet haben auf den gewiss sehr aufregenden Termin mit Politikern, Journalisten und Kameramännern. Einer singt das ABC, ein anderer zählt alle bisherigen deutschen Bundeskanzler auf. Gröhe ist begeistert. Diese Aufgabe solle man mal deutschen Kindern draußen auf der Straße stellen, schlägt er vor. Der zehnjährige Mohammed aus Tadschikistan legt eine Deutschlandkarte vor sich auf den Tisch und zählt die Bundesländer mit den zugehörigen Landeshauptstädten auf. Null Fehler, 16 Punkte!

Tina Mohammad, Leiterin der Zentralen Unterbringungseinrichtung in Neuss, wünscht sich, dass sich möglichst bald genügend Paten finden, die sich beim Vorlesen engagieren möchten. Dabei will auch die Stiftung Lesen helfen und den Kontakt zu Vorlese-Initiativen vermitteln.

Dass es dabei um etwas anderes geht als das Vorlesen etwa in Kindertagesstätten oder auch Seniorenheimen, erklärt Melitta Göres von der Stiftung Lesen: „Normalerweise spricht der Vorleser die gleiche Sprache. Bei dieser Zielgruppe ist das ja nicht der Fall. Hier muss auch über das Nicht-Sprachliche ein Weg für die Vermittlung gefunden werden.“ Dafür bedürfe es spezieller Medien und eines Vorlesers oder einer Vorleserin, die das zusammenführen. Die Stiftung Lesen macht daher spezielle Schulungsangebote, um in Seminaren auf das Vorlesen für geflüchtete Kinder vorzubereiten. Und man vermittelt den Kontakt, um die Erstaufnahmeeinrichtungen mit ehrenamtlichen Akteuren vor Ort zu vernetzen.

Thomas Rachel aus dem Bildungsministerium hofft, dass sich nicht nur in Neuss, sondern auch in anderen Unterbringungseinrichtungen genügend Paten fürs Vorlesen finden. Diese könnten sich entweder an die Einrichtungen selbst oder an die örtlichen Koordinatoren für das Ehrenamt wenden. Besonders wichtig sei, dass die Flüchtlinge auch mit der einheimischen Bevölkerung in Kontakt kommen. Die Erstaufnahmeeinrichtungen einerseits und die Bevölkerung andererseits dürften nicht zwei getrennte Welten sein. Und um die Grenzen abzubauen, müsse man viele Anlässe schaffen. Einer könne dieses Vorlesen sein. Rachel: „Wir müssen es schaffen, dass die Welten zusammenfließen“.

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