IGeL: Wenn der Arzt zum Verkäufer wird
Mehr Schaden als Nutzen: Der medizinsche Dienst der Kassen sieht Extras(individuelle Gesundheitsleistung gegen Bezahlung) in Praxen kritisch.
Berlin. Jeder zweite Patient bekommt vom Arzt privat zu bezahlende Gesundheitsleistungen angeboten. Doch die meisten schaden mehr als sie nützen, kritisiert der Medizinische Dienst der gesetzlichen Krankenkassen.
Ein Lungen-Check für 25 bis 50 Euro, oder ein EKG für 20 bis 75 Euro — in manchen deutschen Arztzpraxen geht es zu wie auf einem orientalischen Basar. Häufig handelt es sich um Früherkennungsmaßnahmen jenseits der von den Kassen bezahlten Vorsorge-Untersuchungen. Aber welche dieser Maßnahmen sind ihr Geld wirklich wert? Und wo wird das Geschäft mit den individuellen Gesundheitsleistungen zur Geldschneiderei?
„Aus zahlreichen Zuschriften wissen wir, dass sich viele Patienten bei der Entscheidung über eine so genannte IGeL-Leistung (individuelle Gesundheitsleistung) allein gelassen fühlen“, sagt der Geschäftsführer des Medizinischen Dienstes der Krankenkassen (MDS), Peter Pick. Und er zitiert Beispiele. Bei regelmäßigen gynäkologischen Kontrolluntersuchungen werde sie immer wieder gefragt, ob sie solche Leistungen kaufen wolle, klagte eine Schwangere. Einem anderen Patienten wurde schon am Praxis-Tresen, also noch vor der Untersuchung, gleich eine ganze Preisliste vorgelegt, die er nach seinen Wünschen ankreuzen sollte.
So etwas erzeugt zweifellos Druck. Einer Umfrage zufolge haben auch schon 54 Prozent der Patienten, die Zusatzleistungen angeboten bekamen, davon wirklich Gebrauch gemacht. Dabei stehen ihnen eigentlich umfassende Information über die ärztlich empfohlenen Extras zu. Und sie können sich Bedenkzeit ausbitten. Eine Entscheidungshilfe ist hier das vor fünf Jahren eingerichtete Internetportal der Krankenkassen.
Unter www.igel-monitor.de werden häufig angebotene Sonderleistungen auf Basis von wissenschaftlichen Kriterien bewertet und beschrieben. Mittlerweile sind es 45 solcher Extras — von der Akkupunktur in der Schwangerschaft bis zum Ultraschall der Halsschlagader. Lediglich drei werden als „tendenziell positiv“ eingestuft. Das heißt, der Nutzen ist größer als der Schaden. Darunter fällt zum Beispiel die Stoßwellenbehandlung bei Fersenschmerz.
15 Bewertungen bekommen mangels verwertbarer Daten das Prädikat „unklar“. Immerhin 17 IGel-Leistungen gelten als „tendenziell negativ“. Darunter sind auch der Lungen-Check und ein Vorsorge-EKG zur Früherkennung einer koronaren Herzerkrankung. In beiden Fällen gebe es keine Hinweise auf einen Nutzen, doch könnten unnötige Weiterbehandlungen zu Schäden führen, heißt es beim Medizinischen Dienst der Kassen.
Bei vier weiteren Zusatzleistungen übersteige der Schaden den Nutzen sogar deutlich, so MDS-Chef Pick. Darunter fällt etwa die durchblutungsfördernde Infusionstherapie bei Hörsturz. Nach Einschätzung Picks hat das Bewertungsportal in der Ärzteschaft durchaus gewirkt. Mittlerweile würden in den Praxen mehr Informationen angeboten. „Aber es gibt nach wie vor auch Ärzte, die die Angebote als „Lizenz zum Gelddrucken“ sehen und die den Patienten gegenüber entsprechend agieren“.
Bei der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) sieht man die Sache naturgemäß etwas anders. Es sei „falsch, alle Zusatzleistungen unter Generalverdacht zu stellen. Sie können auch medizinisch sinnvoll sein“, betont KBV-Sprecher Roland Stahl im Gespräch mit unserer Redaktion. Dafür spreche auch, dass Kassen solche Extras zum Teil schon als Satzungsleistung anböten. „Und ein Arzt, der sich nur als Marktverkäufer sieht, schadet sich langfristig selbst“, ist Stahl überzeugt.