„Unklare Datenlage“ Innenressort: Keine belegbaren Zahlen zu Familiennachzug
Berlin (dpa) - Das Bundesinnenministerium sieht sich nicht in der Lage, den absehbaren Familiennachzug von syrischen und irakischen Flüchtlingen zu beziffern.
„Wissenschaftlich belegbare Zahlen, wie viele Familienangehörige der Kernfamilie im Schnitt zu einem in Deutschland anerkannten international Schutzberechtigten nachziehen, gibt es nicht“, erklärte das Innenressort auf eine schriftliche Frage der Linke-Abgeordneten Ulla Jelpke. Die Antwort liegt der Deutschen Presse-Agentur vor. Jelpke warf dem Innenressort vor, es stelle sich „dumm“ bei diesem zentralen Thema, das auch in den Sondierungsgesprächen für eine mögliche Jamaika-Koalition ein größerer Streitpunkt ist.
In der Antwort des Innenressorts heißt es weiter, Nachzugsfaktoren könnten nicht mit der Zahl der erteilten Visa zum Familiennachzug begründet werden. Die Zahl solcher Visa sei auch nur aussagekräftig mit Blick auf jene, die von ihrem Zuzugsrecht tatsächlich Gebrauch machten. Auf die Frage nach der Zahl der Familienangehörigen, die ab März 2018 wieder zu subsidiär Geschützten nachkommen könnten, antwortete das Ministerium nicht.
Asylsuchende, die in Deutschland Schutz bekommen, dürfen Ehepartner und minderjährige Kinder zum Teil nachholen. Andersherum dürfen auch anerkannte minderjährige Flüchtlinge ihre Eltern hinterherholen. Für eine bestimmte Gruppe mit eingeschränktem Schutzstatus, subsidiär Geschützte, hatte die große Koalition den Familiennachzug im März 2016 beschränkt und bis März 2018 für zwei Jahre ausgesetzt.
Die Union will bei dieser Gruppe auch über diesen Termin hinaus verbieten, dass enge Familienangehörige nach Deutschland nachziehen. Die Grünen - mit der FDP möglicher Partner der Union in einer Jamaika-Koalition - wollen den Familiennachzug für diese Gruppe dagegen wieder erlauben.
Das Auswärtige Amt hatte vor einigen Tagen auf dpa-Anfrage erklärt, derzeit bemühten sich rund 70 000 Syrer und Iraker um einen Familiennachzug zu Verwandten in Deutschland. Von Anfang 2015 bis Mitte 2017 hatte das Amt rund 102 000 Visa zum Familiennachzug für Syrer und Iraker erteilt. Nach Schätzung des Ministeriums könnten bis 2018 etwa 100 000 bis 200 000 weitere hinzukommen - inklusive der Angehörigen von subsidiär Geschützten, die nach derzeitiger Rechtslage ab März 2018 wieder Familiennachzug beantragen könnten.
Am Donnerstag hatte auch das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) - die Denkfabrik der Bundesagentur für Arbeit - eine Studie in Kooperation mit der obersten Migrationsbehörde BAMF vorgelegt und Prognosen angestellt. Kalkuliert wird hier, zu den 2015 und 2016 nach Deutschland eingereisten Flüchtlingen könnten 100 000 bis 120 000 Ehepartner und Kinder nachziehen. Das IAB bezifferte das Nachzugspotenzial bei der größten Gruppe der Syrer auf etwa 0,4.
Jelpke hat angesichts dieser Zahlen kein Verständnis dafür, dass sich das Innenressort nicht zu einer Auskunft imstande sieht. Dass zu der Frage der subsidiär Geschützten gar keine Antwort komme, sei eine „Unverschämtheit“. „Es wäre unverantwortlich und ein Ausweis absoluter Inkompetenz, wenn das Bundesinnenministerium zu dieser zentralen politischen Frage keine Einschätzung hätte“, sagte sie. „Doch wahrscheinlicher ist, dass sie hierzu keine Auskunft geben möchte: Es würde sich nämlich herausstellen, dass die Zahl der Betroffenen gar nicht so groß ist, wie vielfach angenommen wird.“