Familienpolitik Jamaika plant Rechtsanspruch auf Ganztag für Grundschüler
Berlin (dpa) - Im Fall der Bildung einer Koalitionsregierung wollen Union, FDP und Grüne Grundschülern einen Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung gewähren. Das Ziel hätten die Unterhändler bei ihren Beratungen über die Familienpolitik grundsätzlich festgehalten, berichtet die „Rheinische Post“.
„Wir wollen einen Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung für Grundschüler“, heißt es demnach in einem Papier, das dem Blatt vorliegt. Uneinig seien sich die Verhandlungspartner aber noch bei der Umsetzung. So stelle die FDP das Vorhaben unter Finanzierungsvorbehalt und wolle wie die Grünen im Gegenzug das Kooperationsverbot von Bund und Ländern in der Bildungspolitik kippen.
CDU und CSU fordern dem Bericht zufolge dagegen eine Umsetzung nach der im Sozialgesetzbuch geregelten Kinder- und Jugendhilfe, die unter anderem die Förderung von Kindern in Tageseinrichtungen regelt.
Das Kooperationsverbot in Bildungsfragen wurde 2006 im Grundgesetz verankert. Da Bildung eigentlich Ländersache ist, durfte der Bund seither nur in Ausnahmefällen Fördergelder bereitstellen. 2014 und 2017 wurde das Verbot gelockert. Der Bund kann nun auch langfristig Hochschulen unterstützen und Kommunen helfen, Schulen zu sanieren.
Einen Rechtsanspruch auf einen Platz in der Ganztagsschule zumindest für Grundschulkinder hatten im Bundestagswahlkampf mehrere Parteien gefordert - darunter Union, SPD und Grüne. Nach den aktuellsten Zahlen für das Schuljahr 2015/2016 nehmen bundesweit rund vier von zehn Schülern (39,3 Prozent) eine Ganztagsschule in Anspruch. Das geht aus einer Studie der Bertelsmann-Stiftung hervor, die Mitte Oktober veröffentlicht wurde. Um bis 2025 für 80 Prozent der Schüler einen Ganztagsschulplatz anzubieten, müsste die Politik weitere 3,3 Millionen Ganztagsplätze schaffen. Kritiker halten das kaum für machbar. Laut Studie würden jährlich allein 2,6 Milliarden Euro an Personalkosten anfallen.
In den vergangenen Jahren haben immer mehr Kinder eine Ganztagsschule besucht. Zum Vergleich: Im Schuljahr 2002/2003 ging jeder Zehnte (9,8 Prozent) dorthin. Unterschiede gibt es je nach Land. Im Schuljahr 2015/2016 hatten beim Spitzenreiter Hamburg rund neun von zehn Kindern einen Platz in einer Ganztagsschule (91,5 Prozent) - beim Schlusslicht Bayern sind es mit 16,0 Prozent deutlich weniger.
Nach Ansicht des Deutschen Städte- und Gemeindebundes ist der formulierte Rechtsanspruch auf eine Ganztagsbetreuung von Grundschülern nicht umsetzbar. Wenn Jamaika mehr sein solle als eine exotische Insel, brauche es eine Politik, die nicht mit Versprechen auf Kosten anderer Kassen mache, sagte der designierte neue Präsident des Deutschen Städte- und Gemeindebundes, Uwe Brandl, in München.
„Neueste Studien besagen, dass für einen flächendeckenden Ausbau von Ganztagsschulen neben den Kosten für den Aufbau der zusätzlichen Raumkapazitäten in Höhe von rund 15 Milliarden Euro pro Jahr rund 50.000 zusätzliche Lehrkräfte und pädagogische Fachkräfte benötigt werden“, betonte der CSU-Bürgermeister der niederbayerischen Stadt Abensberg, der zum Jahreswechsel den Präsidentenposten des Deutschen Städte- und Gemeindebundes antritt.
Brandl kündigte an, dass der Deutsche Städte- und Gemeindebund „alle Karten spielen wird“, um gegen die Jamaikaversprechen zulasten der Kommunen vorzugehen. Dies beinhalte etwa die Forderung nach einer seriösen Gegenfinanzierung, der Bund sei zwingend in einer Mitfinanzierungspflicht. „Eine verantwortungsbewusste Politik muss anders aussehen.“
Der Hauptgeschäftsführer des Städte- und Gemeindebunds, Gerd Landsberg, sagte in Berlin, einen Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung für Kinder im Grundschulalter festzuschreiben, sei „vollkommen falsch“. Landsberg sagte der Deutschen Presse-Agentur: „Mit einem Rechtsanspruch schaffen wir keinen einzigen zusätzlichen Betreuungsplatz und wecken unnötig Erwartungen bei den Menschen, die in absehbarer Zeit nicht zu erfüllen sein werden.“ Deutschland brauche perspektivisch ein Konzept, um bedarfsgerecht Ganztagsschulen für alle Schülerinnen und Schüler anbieten zu können.