Porträt Jens Spahn: Die Verwandlung vom Quertreiber zum Sympathieträger

Jens Spahn (CDU) gibt den gesundheitspolitischen Kummerkasten und umgeht so manche Fallstricke.

Will Kliniken vorschreiben, wie viel Pflegepersonalsie beschäftigen: BundesgesundheitsministerJens Spahn (CDU). Foto: dpa

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Berlin. Diese Woche hat sich Jens Spahn ausnahmsweise freigenommen. Abschalten für ein paar Tage in Tirol. Danach will der Bundesgesundheitsminister aber wieder dauerpräsent sein. So wie er das auch schon vorher war. Das Parlament mag ausgiebig urlauben. Spahn nicht.

Personalnotstand in den Heimen, lange Wartezeiten auf einen Arzttermin, verzweifelte Menschen, denen die Pflege ihrer Angehörigen über den Kopf wächst — der CDU-Mann ist zur Projektionsfläche für solche Probleme geworden. Er ist jetzt der politische Kummerkasten für die Kranken und Hilfebedürftigen im Land.

Spahn hat eine ganze Reihe von Gesetzentwürfen vorgelegt, die von einem enormen Aktivitäts-Level zeugen — und ihm offenkundig große Sympathien in der Bevölkerung eintragen. Nach einer aktuellen Insa-Umfrage stimmen drei von vier Bundesbürgern Spahns Politik zu. Wahrlich eine erstaunliche Entwicklung, denn vor noch gar nicht allzu langer Zeit hatte man mit dem Münsterländer ganz andere Assoziationen verbunden: Spahn, der machthungrige Konservative, der politische Quertreiber. Einer, der selbst gern einmal Kanzler wäre und wohl auch deshalb häufig gegen die Amtsinhaberin stänkert. Noch im Juni, als der Konflikt über die Zurückweisung von Flüchtlingen zwischen CDU und CSU aus dem Ruder zu laufen drohte, gab Spahn den Merkel-Rebellen. Die Vorsitzende versammelte damals alle Mitglieder des CDU-Präsidiums hinter ihrer Linie — nur Spahn stellte sich offen dagegen.

Eingedenk solcher Episoden darf man sich schon fragen, warum der Widersacher überhaupt für höhere Kabinetts-Weihen berufen wurde. Aber Merkel ist eben auch nicht mehr politisch unantastbar. Und dann gibt es noch die bewährte Methode, jemanden einzubinden, um ihn kleinzukriegen. Bei Spahn ist dieses Kalkül allerdings bis jetzt nicht aufgegangen.

Dabei birgt sein Ministeramt jede Menge Fallstricke. In kaum einem Bereich sind die Lobbyinteressen so präsent und vermachtet wie im Gesundheits- und Pflegesektor. „Als Gesundheitsminister hast Du immer die Torte im Gesicht“, brachte es Ulla Schmidt einst auf den Punkt. Die SPD-Politikerin stand dem Laden vor, als Spahn gerade erst in den Bundestag kam. Das war 2002. Vor drei Jahren machte ihn der damalige Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble zu seinem Parlamentarischen Staatssekretär. Davor war Spahn lange Zeit gesundheitspolitischer Sprecher der Unionsfraktion, was ihm jetzt sehr zugute kommt.

Nach ein paar heftig kritisierten Äußerungen über Armut und Hartz IV geht Spahn inzwischen ganz in seiner neuen Verwendung auf. Das umso mehr, als Merkel die Pflege zum Mega-Thema dieser Wahlperiode erklärt hat. Und der CDU-Mann entwickelt dabei Züge, die man kaum erwarten durfte. Eben noch als Neoliberaler verschrien, bereitet Spahn eine Erhöhung des Pflegebetrags kein Problem. Ja, er sattelte sogar noch drauf.

Mit einem Plus von 0,5 Prozentpunkten kalkuliert seine Ressort ab dem kommenden Jahr. Das sind 0,2 Prozentpunkte mehr, als Spahn zunächst für notwendig erachtet hatte. Auch mit dem im Koalitionsvertrag verankerten Sofortprogramm für 8000 neue Pflegestellen gab er sich nicht zufrieden. Jetzt sind es plötzlich 13 000. Obendrein will er Kliniken vorschreiben, wie viel Pflegepersonal sie mindestens beschäftigten müssen. Und Pflegeeinrichtungen sollen nach Ansicht Spahns auch nicht endlos Profite machen dürfen. Mancher Wirtschaftspolitiker in der Union versteht da die Welt nicht mehr.

In Spahns Umfeld verweist man indes darauf, dass die meisten gesundheitspolitischen Vorhaben entweder auf Betreiben der SPD in den Koalitionsvertrag gekommen seien oder aber bereits geltenden Vorgaben entsprächen. So geht zum Beispiel die Festlegung von Untergrenzen beim Pflegepersonal in Kliniken auf die schon in der vergangenen Wahlperiode verabschiedeten Pflegestärkungsgesetze (PSG) zurück.

Dem Eindruck einer wundersamen Verwandlung Spahns vom Unionisten zum Sozialisten kann man sich trotzdem nicht ganz entziehen. Ausgerechnet in einem Gastbeitrag für die linke Tageszeitung „Taz“ schrieb Spahn kürzlich über den „begrenzten Marktcharakter“ der Pflegebranche und regte ein „Nachdenken über Grenzbereiche der sozialen Marktwirtschaft“ an. Bislang sind es zumeist nur Ankündigungen, die Spahn in den ersten Monaten nach seiner Minister-Vereidigung machen konnte. Aber die sind so konkret, dass ihn alle daran messen werden. Und Spahn weiß das auch. „Ich will mir nach drei Jahren im Amt nicht sagen lassen, da ist immer noch nichts passiert“, hat er gesagt.