Arbeitsmarkt Jobcenter als Motor der Integration
Bis der Arbeitsmarkt von den Flüchtlingen profitiert, braucht es Zeit. Dann aber, da sind sich die Experten aus den Kommunen sicher, bietet sich eine Riesenchance.
Wuppertal. Wenn Thomas Lenz auf die Flüchtlingsdiskussion des vergangenen Jahres zurückblickt, macht er ein Thema als „den größten Kommunikationsfehler“ aus: die einfache Gleichung, mit den Flüchtlingen erledige sich der Fachkräftemangel in Deutschland. Diese Gleichung geht nicht auf — zumindest nicht kurzfristig. „Integration braucht Zeit.“
Lenz ist Vorstandsvorsitzender des Wuppertaler Jobcenters. Zusammen mit 200 Kolleginnen und Kollegen aus den Jobcentern der gesamten Bundesrepublik, Vertretern der Kommunen und Experten hat er sich in den vergangenen zwei Tagen in der Wuppertaler Stadthalle Gedanken gemacht, wie die Integration der Flüchtlinge in den Arbeitsmarkt gelingen kann. Eine Quintessenz: Die Jobcenter vor Ort werden in wachsendem Maß zu Integrationsplattformen und -motoren.
Das liegt daran, dass die Jobcenter erst zuständig werden, wenn die Flüchtlinge entweder eine Anerkennung als Asylberechtigter oder eine Duldung haben und damit auch Anspruch auf Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch (SGB) II. In Wuppertal sind das derzeit etwa 6000 Flüchtlinge. „Und nur etwa zehn Prozent davon verfügen über eine für unseren Arbeitsmarkt verwertbare Qualifikation“, sagt Lenz.
Das hat mit dem Alter der Flüchtlinge zu tun (in Wuppertal sind 35 Prozent jünger als 15 Jahre und 80 Prozent jünger als 35), aber auch mit den Herkunftsländern. In Syrien und im Irak gab es noch relativ lange ein funktionierendes Schulsystem, in Somalia und Eritrea schon seit Jahrzehnten nicht mehr. „Nach einer Studie der OECD dauert es bis zu zehn Jahre, ehe die Beschäftigungsquote der Flüchtlinge dem Durchschnitt der Bevölkerung entspricht“, sagt Matthias Schulze-Böing, Vorsitzender des Vereins „Beschäftigungspolitik kommunal“. Nötig sei daher eine „Politik des langen Atems“.
Und die Bereitschaft zur Zusammenarbeit. Das gilt nicht nur für die Behörden wie die Ausländerbehörden, die Bundesagentur für Arbeit und das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge. Das gilt auch für Schul- und Kitaträger sowie die große Zahl der Ehrenamtlichen in der Flüchtlingshilfe. „Wir wissen sehr viel über unser System, aber wenig über die gesamte Realität im Ort“, habe eine Teilnehmerin aus Krefeld gesagt, erzählt Claudia Walther von der Bertelsmann-Stiftung und ergänzt: „Und wir wissen zu wenig über die Flüchtlinge selber.“ Gerade da seien die Ehrenamtlichen eine wichtige Quelle.
„Mit unserem Haus der Integration fühlte ich mich da sehr bestätigt“, freut sich Thomas Lenz. Seit Januar gibt es in Wuppertal ein zentrales Kompetenzzentrum für Zuwanderung, in dem alle den Arbeitsmarkt betreffenden Dienstleistungen unter einem Dach gebündelt werden.
Die Integrationsbemühungen müssten auch unabhängig von der Bleibeperspektive erfolgen, fordert Stefan Hahn vom Deutschen Städtetag. „Sonst bekommen wir in den Kommunen Probleme mit denen, die wir nicht berücksichtigen.“ Wenn ein Flüchtling wieder in sein Heimatland zurückkehre, sei durch die bis dahin investierte Integrationsarbeit zwar volkswirtschaftlich nichts gewonnen, „aber das ist dann Entwicklungshilfe für die Herkunftsländer“.
Zeit, Geduld, Bereitschaft zur Zusammenarbeit — Anforderungen, die der nach schnellen Lösungen rufenden, aufgeregten Flüchtlingsdebatte widersprechen. Aber wenn sich in Behörden, Politik und Gesellschaft die Haltung durchsetze, die Neuankömmlinge bestmöglich integrieren zu wollen, dann würden die Städte und Gemeinden am Ende profitieren, da ist sich Vorstandsvorsitzender Lenz sicher. „Die, die das nicht gemacht haben, werden uns in zehn Jahren beneiden.“
Für Wuppertal sieht er jetzt schon positive Auswirkungen: Der Abwärtstrend sei gestoppt, es gebe weniger Wohnungsleerstände und auch in Sachen Überalterung zeichne sich eine Wende ab. „Die Flüchtlinge sind nicht die Fachkräfte von heute, aber die von morgen und übermorgen.“
Die Motivation der Flüchtlinge, so schildert eine Mitarbeiterin die Erfahrung in den Jobcentern, sei jedenfalls hoch. „Und auf beiden Seiten gibt es die Bereitschaft, die Zeit zu nutzen.“