Jüdisches Leben Festjahr als Zeichen gegen Antisemitismus
Berlin · Für 2021 sind unter dem Motto „321 – 1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland“ verschiedene Projekte in den meisten Gemeinden angedacht.
Wenn Abraham Lehrer mit jungen Juden spricht, hört er, dass es heute „zur Normalität“ gehöre, in den sozialen Netzwerken beleidigt und antisemitisch gemobbt zu werden. Der Vizepräsident des Zentralrates der Juden und Vorsitzende der jüdischen Gemeinde in Köln ist alarmiert. Es gebe einen „explodierenden Antisemitismus in Europa und auch bei uns in Deutschland“, meinte er am Dienstag in Berlin. Doch damit abfinden will Lehrer sich nicht. Speziell das kommende Jahr soll ein Jahr der Verständigung werden.
Der Anschlag von Halle im Oktober, die vergangenes Jahr veröffentlichte Studie des jüdischen Weltkongresses, wonach jeder vierte Deutsche auf die eine oder andere Weise antisemitisch denkt, die alltäglichen Anfeindungen – viele der rund 100 000 Gemeindemitglieder haben laut Lehrer Zweifel an einer Zukunft in Deutschland. „Es gibt keine Auswanderungswelle, dass jüdische Menschen aber ab und zu darüber nachdenken, ist klar.“ Allerdings seien in den vergangenen Jahren wohl nicht mehr Bürger zu Antisemiten geworden. „Aber es ist heute viel einfacher, die Grenze auszutesten, sie nur ganz leicht zu überschreiten. Die Menschen trauen sich mehr.“ Das Netz macht es möglich.
Die meisten der 105 jüdischen Gemeinden wollen deshalb ein Zeichen setzen – 2021 sollen die Türen geöffnet werden. Ein Festjahr ist geplant, um den kulturellen, wissenschaftlichen und religiösen Beitrag deutlich zu machen, „den jüdische Menschen für dieses Land geleistet haben“, so Lehrer.
Kölner Gemeinde wohl die älteste in nördlich der Alpen
Hintergrund ist eine Anweisung des damaligen Kaisers Constantin aus dem Jahr 321, dass Juden zum Kölner Stadtrat zugelassen werden sollen. 1700 Jahre ist das dann her. Die dortige jüdische Gemeinde ist damit mutmaßlich die älteste in Europa nördlich der Alpen. „Wir wollen einen Aufstand gegen Antisemitismus organisieren“, so der Kuratoriumsvorsitzende des Vereins „321 – 1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland“, Jürgen Rüttgers (CDU). Gleichzeitig solle zusammen gefeiert und jüdisches Leben nähergebracht werden, erklärte der frühere Bundesminister und nordrhein-westfälische Ministerpräsiden.
Man wisse, dass man an den schlimmen Zeiten des Holocaust nicht vorbeikomme. „Ich kann das nicht vergessen, wir wollen das nicht vergessen. Aber wir wollen die Blicke darüber hinaus werfen“, ergänzte Lehrer. Es sei wichtig, dass Juden nicht ausschließlich darüber definiert würden. Auch der Antisemitismusbeauftragte der Bundesregierung, Felix Klein, unterstrich, man solle Juden nicht nur als bedrohte Minderheit sehen, sondern als Teil der Gesellschaft. Zugleich regte Klein an, angesichts der Verrohung im Netz eine Verschärfung des Straftatbestands der Volksverhetzung ins Visier zu nehmen.
Die Vorbereitungen für das Festjahr laufen bereits auf Hochtouren. Damit möglichst viele Projekte und Veranstaltungen realisiert werden können, hat der Bundestag sechs Millionen Euro bewilligt. Auch Nordrhein-Westfalen beteiligt sich mit 600 000 Euro. Die Organisationen hoffen nun darauf, dass möglichst viele Bundesländer, Unternehmen, Verbände, Gewerkschaften und Kulturschaffende mitmachen. Unterstützt wird der Verein zur Ausrichtung der 1700-Jahr-Feierlichkeiten übrigens auch vom Zentralrat der Muslime.