Düsseldorfer Landtag Parlamentsgespräch - Alter Antisemitismus in neuem Gewand
Düsseldorf · „Gibt es einen neuen deutschen Antisemitismus?“ Um diese Frage drehte sich das Parlamentsgespräch im Düsseldorfer Landtag. Es geht dabei auch um die ewige Stereotype im Kopf.
Links von ihr sitzt der deutsch-israelische Autor Arye Shalicar, bis 2017 Sprecher der israelischen Armee und Verfasser des Buches „Der neue deutsche Antisemit“. Rechts von ihr sitzt Abraham Lehrer, Vizepräsident des Zentralrats der Juden. Und Sabine Leutheusser-Schnarrenberger in der Mitte will keine Alibifunktion übernehmen. Mit Leidenschaft beschreibt die FDP-Politikerin in ihrem Eröffnungs-Statement zum Parlamentsgespräch „Gibt es einen neuen deutschen Antisemitismus?“ im Landtag die Notwendigkeit einer Antisemitismus-Beauftragten, zu der sie 2018 berufen wurde.
Die Zahlen, die sie zur Begründung nennt: 41 Prozent der Juden in Deutschland haben im vergangenen Jahr antisemitische Vorfälle erlebt. In 40 Prozent der Fälle waren Freunde, Arbeitskollegen oder Mitschüler beteiligt. Und mehr als 70 Prozent der hier lebenden Juden haben Angst, dass sie bedroht werden. „Das ist kein Alarmismus, das ist der alte Antisemitismus in neuem Gewand“, ist die ehemalige Justizministerin überzeugt.
Trotzdem sagt Lehrer: „Wir machen uns Sorgen, aber wir leben nicht in Angst.“ Zu diesen sorgenvollen Eindrücken gehört das Erlebnis bei dem großen Gesangs- und Tanzwettbewerb mit 1400 jüdischen Jugendlichen vor knapp zwei Wochen. In Videos konnten sich die beteiligten Jugendzentren vorstellen. „In sechs der 18 Videos ging es explizit um Antisemitismus. Wir haben das Thema nicht vorgegeben, es kam wirklich von den Jugendlichen selbst.“
Wo endet Israelkritik und beginnt Antisemitismus
Natürlich kreist die Diskussion vor den vollen Rängen in der Landtagsbibliothek wieder um die ewige Frage, wo berechtigte Israelkritik endet und Antisemitismus beginnt. Shalicar verweist nicht nur darauf, dass schon allein die Aufnahme des Wortes „Israelkritik“ in den Duden Anzeichen einer deutschen Obsession ist. Das Problem sei nicht die Kritik an Israel. „Jeder Jude liebt es, Israel zu kritisieren. Man wird dort ganz müde von der Kritik“, sagt der in Berlin groß gewordene Autor, der 2001 nach Israel auswanderte. Problematisch sei, wenn kein Interesse an Zusammenhängen bestehe. „Die Nachbarn Israels sind nicht die Schweiz und Holland.“
Sein entlarvendes Beispiel: In Deutschland werde unter dem Nahostkonflikt im Wesentlichen der Konflikt zwischen Israel und den Palästinensern verstanden. Im Nahen Osten selbst spiele das nur eine Nebenrolle. Da gehe es um Schiiten und Sunniten, um Türken und Kurden, um Saudis und Katarer. „Kein einziger Syrer ist in Deutschland wegen der Juden und der Palästinenser.“
Bei der Jugend anfangen
Die Stereotypen im Kopf, erkennbar und versteckt, gilt es aufzubrechen, da sind sich die drei Podiumsteilnehmer einig. „Ich bin ein Fan davon, dass wir bei der Jugend anfangen müssen“, sagt Lehrer. Und auch wenn er fast entschuldigend einräumt, dass das wieder so ein Thema ist, das auch noch der Schule aufgeladen werden soll: „Einen 50- oder 60-Jährigen werden Sie nicht mehr bekehren, aber einen 15- oder 16-Jährigen vielleicht schon.“
Und damit nicht alles nur in der Verantwortung des Schulsystems liegt, verweist der Vorstand der Jüdischen Gemeinde in Köln noch auf ein Projekt des Zentralrats der Juden, das 2018 gestartet ist. Jüdische Jugendliche werden darauf vorbereitet, in Zweiergruppen in die Schulen zu gehen und mit Gleichaltrigen zu diskutieren: über antisemitische Erfahrungen, über das, was ihr jüdisches Leben bestimmt.
Allerdings, räumt Lehrer ein: „Das ist eine endliche Konstruktion.“ 100 000 registrierte jüdische Gemeindemitglieder gibt es in Deutschland, dazu vielleicht noch einmal 50 000 Juden, die keiner Gemeinde angehören. „Bei 82 Millionen Deutschen können Sie sich ausrechnen, wie lange es dauert, bis überall eine Begegnung stattgefunden hat.“