Gegen den Strom Kevin Kühnerts kühne Thesen
Berlin. · Kollektivierung von Unternehmen? Keine privaten Vermieter mehr? Der Juso-Chef äußert sich zum Sozialismus und wird heftig angegriffen. Es gibt aber auch Unterstützung.
Mit seinem radikalen Vorstoß für eine Kollektivierung von Betrieben und Einschränkungen beim Immobilienbesitz hat der Vorsitzende der SPD-Jusos, Kevin Kühnert, einen Sturm der Entrüstung ausgelöst. Auch in der SPD-Parteiführung ging man auf Distanz – und versuchte, das Thema rund drei Wochen vor der Europawahl möglichst tief zu hängen.
Kevin Kühnert schwimmt gern gegen den Strom. Einem breiten Publikum wurde der Juso-Chef bekannt, als er nach der letzten Bundestagswahl im Herbst 2017 vehement gegen eine Neuauflage der Großen Koalition Front machte und damit auch die SPD-Spitze direkt angriff. Nun macht der 29-jährige, gebürtige Westberliner erneut von sich reden. In einem Interview für die aktuelle Ausgabe der Wochenzeitung „Die Zeit“ über seine Vorstellungen vom Sozialismus plädiert Kühnert für eine „Kollektivierung“ großer Firmen wie etwa BMW. Ohne Kollektivierung sei „eine Überwindung des Kapitalismus nicht denkbar“, erklärte Kühnert. Ihm sei „weniger wichtig, ob am Ende auf dem Klingelschild von BMW ,staatlicher Automobilbetrieb’ steht oder ,genossenschaftlicher Automobilbetrieb’, oder ob das Kollektiv entscheidet, dass es BMW in dieser Form nicht mehr braucht“. In jedem Falle müsse die Verteilung der Profite demokratisch kontrolliert werden, erläuterte Kühnert.
Zugleich will Kühnert den Besitz von Immobilien beschränken. Jeder solle „maximal den Wohnraum besitzen, in dem er selbst wohnt“. Noch besser seien genossenschaftliche Lösungen, so Kühnert. Auf die Frage, ob es Ziel sei, dass es gar keine privaten Vermietungen mehr gäbe, meinte Kühnert: „Das wäre der Optimalfall, natürlich“.
In den deutschen Großstädten wird gegenwärtig fast die Hälfte aller Mietwohnungen durch kleine Privateigentümer vermietet. Wohl auch deshalb gingen zahlreiche SPD-Politiker auf Distanz zu Kühnert. „Was für ein grober Unfug. Was hat der geraucht?“, wurde der Sprecher des konservativen „Seeheimer Kreises“, Johannes Kahrs, dabei besonders drastisch. SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil suchte die Debatte indes tiefer zu hängen: Kühnert spreche über eine „gesellschaftliche Utopie“. Er rate daher „zu mehr Gelassenheit in der Diskussion“, so Klingbeil.
Parteivize Ralf Stegner dagegen zeigte zum Teil Verständnis für Kühnert. „Er kritisiert Missstände in der Gesellschaft, die zutreffend beschrieben sind. Wir haben doch Menschen, die mit Wohneigentum spekulieren, wir haben skandalöse Miethöhen“, sagte Stegner unserer Redaktion. Einschränkend fügte er aber hinzu, dass Kühnerts Vorschläge „deutlich“ über die Beschlusslage seiner Partei hinausgingen.
So wolle die SPD „weder eine Vergesellschaftung von Betrieben, noch will sie die Vermietung von Wohnungen untersagen“, stellte Stegner klar. Zugleich ließ er durchblicken, dass Kühnerts Ideen der SPD im Europawahlkampf schaden könnten: „Hilfreich wäre es nicht, wenn wir uns über ein Interview zu gesellschaftlichen Utopien zerstreiten und so tun, als sei das eine Debatte zur Tagespolitik“.
Für Union und FDP waren Kühnerts Thesen gestern eine Steilvorlage, um den Genossen die Leviten zu lesen. FDP-Generalsekretärin Linda Teuteberg, forderte die SPD auf, „dringend ihr Verhältnis zum Eigentum zu klären“. Aus der AfD hieß es, Kühnert und die Jusos würden langsam, aber sicher zum „Fall für den Verfassungsschutz“ werden. Unterstützung bekam der Gescholtene von der Linkspartei. Die Versorgung der Menschen mit Wohnraum dürfe „nicht von Profitinteressen abhängen“, erklärte ihr Vorsitzender, Bernd Riexinger.
Kühnert selbst verteidigte sich gestern mit einem Verweis auf das aktuelle Grundsatzprogramm der SPD. Dort heißt es: „Der demokratische Sozialismus bleibt für uns die Vision einer freien, gerechten und solidarischen Gesellschaft, deren Verwirklichung für uns einen dauernde Aufgabe ist“. Vom einstigen SPD-Kanzler Helmut Schmidt ist freilich auch der Satz überliefert: „Wer eine Vision hat, der soll zum Arzt gehen.“