Kommentierte Ausgabe von Hitlers „Mein Kampf“ erscheint

München (dpa) - Rund 70 Jahre nach dem Tod Adolf Hitlers ist seit Freitag seine Hetzschrift „Mein Kampf“ als kritisch kommentierte Ausgabe auf dem Buchmarkt. Das Münchner Institut für Zeitgeschichte will das jahrzehntelang verbotene Buch mit der zweibändigen Edition entmystifizieren.

Foto: dpa

„Sie enttarnt die von Hitler gestreuten Falschinformationen und seine Lügen und macht jene zahllosen Halbwahrheiten kenntlich, die auf propagandistische Wirkung zielten“, erläuterte Institutsdirektor Andreas Wirsching bei der Vorstellung am Freitag in München.

Hintergrund für die kritische Edition ist das Erlöschen der Urheberrechte 70 Jahre nach Hitlers Tod. Die Neuerscheinung stößt aber auch auf teils heftige Kritik. Der Holocaust-Überlebende Max Mannheimer sagte im Bayerischen Rundfunk: „Es ist furchtbar, wenn im Land der Täter die Nachkommen der Überlebenden zusehen müssen, wie wieder "Mein Kampf“ in einer neuen Fassung vorgestellt wird, ein unvorstellbarer Gedanke.“

Der Nazi-Diktator hatte die beiden Bände seines Werkes zwischen 1924 und 1926 geschrieben. Das Buch gilt als seine wichtigste politische Schrift, in der er zum Hass gegen Juden aufstachelte und seine ideologischen Vorstellungen ausdrückte.

Rund drei Jahre lang nahm Projektleiter Christian Hartmann mit seinem Team und mehr als 80 externen Experten die Hetzschrift unter die Lupe. Fast 2000 Seiten umfassen die beiden Bände, die mit einer langen Einleitung versehen sind. Auf je einer Doppelseite findet sich je eine Seite aus dem Originalwerk, eingebettet in Kommentare.

So schwadroniert Hitler etwa über seine rhetorischen Fähigkeiten, mit denen er tausende Zuhörer in eine „wogende Masse voll heiligster Empörung und maßlosestem Grimm“ verwandelt haben will. Die Edition schreibt dazu: „Abermals stilisiert Hitler seine Versammlungen der Frühzeit zur permanenten Konfrontation mit politischen Gegnern, gegen deren Übermacht er sich durchgesetzt habe.“ In Wirklichkeit sei die NSDAP für linke Parteien damals eine kaum beachtenswerte Randerscheinung gewesen.

Der Historiker und Hitler-Biograf Ian Kershaw hält die kritische Edition für überfällig. Sie sei eine „dezidierte Widerlegung der Hetzschrift“. „Selbstverständlich kann „Mein Kampf“ weiterhin missbraucht werden, um Voreingenommenheit zu unterstützen.“ Doch Deutschland sei eine gefestigte Demokratie. „Die Lektüre von Hitlers unsäglichem Text wird mit Sicherheit keinen unvoreingenommenen Menschen zum Nazi konvertieren“, sagte der Brite.

Bundesbildungsministerin Johanna Wanka (CDU) nannte die Edition einen wichtigen Beitrag für die politische Bildung, auch im Schulunterricht. In der Neuauflage sei nachzuvollziehen, „wie aus diesen gefährlichen Worten Hitlers schreckliche Taten werden, wie das funktioniert hat“, sagte Wanka dem Fernsehsender RTL. Es sei gut, dass Jugendliche nun „in die Lage versetzt werden, dass man selbstständig denken kann und dass man eben nicht auf populistische Verführer hereinfällt.“

Der Präsident des Jüdischen Weltkongresses (WJC), Ronald S. Lauder, nannte das Werk „überflüssig“. „Von diesem abscheulichen und giftigen Buch sind schon genug Exemplare gedruckt worden“, sagte Lauder. „Es wäre also das beste, „Mein Kampf“ dort zu lassen, wo es hingehört: Im Giftschrank der Geschichte.“ Josef Schuster, Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, begrüßt die Veröffentlichung dagegen. „Ich kann mir gut vorstellen, dass diese kritisch kommentierte Auflage einer Aufklärung dient, und dass sie einen gewissen Mythos, der um dieses Buch herrscht, aufzuklären vermag“, sagte er dem Radiosender „NDR Info“.

Die US-Amerikaner hatten die Urheberrechte nach dem Zweiten Weltkrieg dem Freistaat Bayern anvertraut, der 70 Jahre lang eine Neuauflage des Buches verhinderte. Zum 31. Dezember 2015 liefen diese Rechte aus. „Es wäre schlicht unverantwortlich, dieses Konvolut der Unmenschlichkeit gemeinfrei und kommentarlos vagabundieren zu lassen, ohne ihm eine kritische Referenzausgabe entgegenzustellen“, erklärte Wirsching.

Allerdings wäre ein unkommentierter Nachdruck ohnehin strafbar, ist das bayerische Justizministerium überzeugt. Namentlich der Tatbestand der Volksverhetzung ermögliche hier ein Einschreiten der Strafbehörden, sagte eine Sprecherin.

Das Buch stößt auch international auf großes Interesse. Wirsching sprach von 15 000 Vorbestellungen für die zweibändige Ausgabe, die das Institut im Eigenverlag für 59 Euro verkauft. Die ursprüngliche Auflage von 4000 Stück wurde erhöht. Zudem gibt es Anfragen, das Werk zu übersetzen, etwa in Englisch, Französisch oder Italienisch.