Kosten, Datenschutz, Zeitaufwand - Streit um die Gesundheitskarte verzögert Einführung
Ärzte fordern mehr Zeit zur Prüfung der Infrastruktur und bemängeln hohen Kostenaufwand.
Düsseldorf. Die Idee ist gut und zeitgemäß. „Digitale Vernetzung kann Leben retten“, wirbt Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) für die elektronische Gesundheitskarte (eGK) und nennt Beispiele: Wenn es nach einem Unfall schnell gehen muss, ruft der Arzt wichtige Informationen zu Allergien, Implantaten oder Vorerkrankungen von der Karte ab. Der Medikationsplan eines Patienten auf der eGK sichert die Arzneimittelverschreibung ab. Weitere Vorteile: Digitale Datenübertragung ist schnell, unbürokratisch, erschwert den Versicherungsmissbrauch. Und doch ist die Geschichte der eGK alles andere als erfolgreich.
Zwar ist die Karte seit 2015 alleiniger Krankenversicherungsnachweis. Auf ihr gespeichert ist aber kaum mehr als die Adresse des Patienten. Den aktuellen Weg zur eGK gibt seit 2016 das eHealth-Gesetz (elektronische Gesundheitsgesetz) mit Zeitrahmen, Anforderungen und Finanzierung sowie Strafen für Verzögerungen vor. Nach einer gerade beendeten Testphase in 500 Arztpraxen und sechs Krankenhäusern soll jetzt die Industrie die Kartenterminals, Konnektoren und anderen Geräte für die notwendige Infrastruktur zur Zulassung einreichen. Das Gesundheitsministerium erwartet, dass bis Mitte 2018 alle Praxen und Krankenhäuser angeschlossen sind, so dass diese die Stammdaten austauschen und abgleichen können. Erst dann sind Notfallinfos, Medikationsplan, Rezept, Arztbrief oder Patientenakte denkbar.
Freilich ist eine (weitere) Fristverlängerung bis Ende 2018 schon im Gespräch, damit, so Alexander Beyer, Geschäftsführer der Gematik (2005 eigens für die Einführung der eGK gegründet) Ärzte ausreichend Zeit erhalten, um ihre Praxen auszustatten und anzuschließen.
Den Ärzten geht das nicht weit genug. Im Mai forderte der Deutsche Ärztetag die Bundesregierung auf, die Online-Einführung der eGK so lange auszusetzen, bis der Nachweis erbracht sei, dass „die Abläufe in Arztpraxen und Kliniken nicht gestört werden und der Datenschutz gewährleistet ist“. Weitere Kritikpunkte: die Testphase sei nicht wissenschaftlich begleitet worden, die fristgemäße Auslieferung der Konnektoren unrealistisch, Investitions- und Betriebskosten sowie der Zeitaufwand der eGK für die Ärzte zu hoch. Für Dr. Silke Lüder, Vorsitzende der Freien Ärzteschaft, ist das Projekt eGK gescheitert und wird nur weiterbetrieben, weil „Politik, Krankenkassen, IT- und Gesundheitsindustrie die Krankheitsdaten aller Bürger zentral speichern wollen, um das Gesundheitswesen zu steuern und Rendite zu erwirtschaften“.
Am Anfang stand 2001 der Skandal um den Cholesterin-Senker Lipobay, der viele Menschen das Leben kostete, weil seine gesundheitsschädlichen Wechselwirkungen mit anderen Arzneimitteln nicht bekannt waren. Auslöser für die Idee einer digitalen „Verschreibungsliste“, die wiederum die digitale Vernetzung aller Akteure in der Gesundheitsversorgung nötig macht.
Dass dieses Netz besonders geschützt sein muss, weil es mit vertraulichen und personenbezogenen Daten arbeitet, die vor Unbefugten geschützt werden müssen, ist selbstverständlich und zog umfangreiche rechtliche und technische Aufgaben nach sich. Über die Jahre wurde die eGK zum komplexen IT-Spezialisten-Thema, was auch die Gematik zugibt. Zudem kam es immer wieder zu Entwicklungs- und Auslieferungsproblemen, wie ein Papier des Spitzenverbands der Gesetzlichen Krankenversicherungen (GKV) veranschaulicht. Mittlerweile haben die Krankenkassen, laut GKV, knapp anderthalb Milliarden Euro in Telematik und eGK investiert (Stand Ende 2016). Ende offen.
Grundsätzlich müssen die Patienten nur ihr Foto und ihre Stammdaten auf der Karte preisgeben. Beyer verspricht: „Medizinische Anwendungen wie das Notfalldaten-Management oder künftig der elektronische Medikationsplan und das Patientenfach sind dagegen freiwillig.“ Die Sicherheit der sensiblen Daten soll laut Gematik modernste und amtlich geprüfte Verschlüsselungstechnik (Zwei-Karten-Prinzip) gewährleisten. Außerdem sollen die Patienten die Zugriffe auf ihre eGK nachvollziehen können. Datenschützer geben sich beruhigt. Laut Bundesbeauftragtem für Datenschutz (BfDI) bringt die „Telematik-Infrastruktur und die darin integrierte eGK das Sicherheitsniveau auf einen höheren Level als bisher üblich. Alle grundsätzlichen Datenschutzfragen sind aus Sicht der BfDI gelöst“.
Verbraucherschützer befürchten denn auch, ,,dass die hohen Datenschutzforderungen die Patienten überfordern, da sie ohne die technische Ausrüstung der Ärzte keinen Zugang dazu haben. Ganz abgesehen davon, dass technisches Grundverständnis notwendig ist. Susanne Mauersberg, Referentin beim Bundesverband der Verbraucherzentrale, erklärt: „Damit die Bürger über die Nutzung der einzelnen Anwendungen selbst entscheiden können, braucht es unabhängige Informationen“ sowie anschauliche Erklärfilme.