Martinsbrauch soll Kulturerbe werden

Niederrheiner reichten am Montag die Bewerbung bei der Unesco ein. Initiatoren hoffen auf mehr Anerkennung für Tradition und Ehrenamt.

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Brüggen/Kempen/Leverkusen. Heinz Brinkschulte hat kein Pferd mehr. Aber im Dorf wird er trotzdem immer der Sankt Martin bleiben. In Leverkusen-Hitdorf zogen Generationen von Kindern mit ihren Laternen hinter ihm her. 63 Mal saß Brinkschulte als Sankt Martin auf dem Pferd. Bis vergangenes Jahr. Die Grundschulen wollen ihn nicht mehr als Sankt Martin, erzählt er: Wahrscheinlich halten sie ihn für zu alt. Zuletzt stieg der heute 84-Jährige mit Hilfe eines Stuhls aufs Pferd, „aber nur, weil das mit dem Kostüm so schwer ist. Ansonsten geht das auch ohne.“ Er muss das nicht beweisen.

Die beiden Schulleiterinnen der Grundschulen im Dorf haben da wohl ihre Zweifel. „Die haben mich gefragt, ob ich denn überhaupt noch gesund genug sei“, erzählt Brinkschulte. „Wahrscheinlich gesünder als Sie beide zusammen“, habe er geantwortet. Die Schulen machen jetzt ihr eigenes Ding, ohne ihn. Das Martinskommitee im Dorf hat sich aufgelöst, angeblich nach Querelen mit den Schulen. Die Schulleiterinnen wollen dazu nichts mehr sagen.

„Das alles zeigt doch, wie fragil die Martinstradition ist“, sagt René Bongartz im niederrheinischen Brüggen. Der 48-Jährige hat am Montag mit dem Kempener Jeyaratnam Caniceus bei der Unesco-Kommission Deutschland die Bewerbung zur Anerkennung der rheinischen Martinstradition als immaterielles Kulturerbe eingereicht.

Das immaterielle Weltkulturerbe soll anders als Denkmäler wie etwa Aachener und Kölner Dom die Vielfalt kultureller Ausdrucksformen in und aus Deutschland sichtbar machen. Dazu gehören etwa Tanz, Theater, Musik und auch Bräuche.

Nach der Heiligenlegende soll der römische Reitersoldat Martin von Tours an einem kalten Wintertag am Stadttor im französischen Amiens seinen Mantel für einen Bettler geteilt haben. Im Jahr 480 wurde der 11. November zum Gedenktag für den Heiligen Martin erklärt. Gegen Mitte des 19. Jahrhunderts liefen die Martinsbräuche mit Schabernack von Jugendlichen aus dem Ruder, wie es in der Bewerbung heißt.

„Das wird im 19. Jahrhundert speziell durch die Situation der Katholiken im preußischen Rheinland diszipliniert und vor allen Dingen auch organisiert“, stellt der Historiker und Martinsexperte Martin Happ fest, der an der Bewerbung mitgearbeitet hat. Die neue Art, das Martinsfest zu feiern, breitete sich in der Zeit zwischen etwa 1870 und 1920 im gesamten Gebiet zwischen Rhein, Maas und dem Eifelvorland aus, wie es in der Unesco-Bewerbung heißt. Bis in die kleinsten Weiler hinein entstanden demnach Hunderte Martinsvereine, die noch heute Bestand haben.

Im niederrheinischen Kempen ist St. Martin ein besonderes Fest. Tausende Schüler ziehen dort in einem viel beachteten Zug am 10. November mit ihren selbst gebastelten Fackeln durch die historische Altstadt.

Als vor einigen Jahren die Diskussionen um eine Umbenennung in ein „Sonne- Mond-und-Sterne-Fest“ landesweit diskutiert wurde, hatte der Kempener Jeyaratnam Caniceus die Idee zur Bewerbung zum Kulturerbe. Damals war die Zeit zu knapp für eine Bewerbung. Rund ein halbes Jahr lang haben er und René Bongartz den Antrag vorbereitet, der nun beim NRW-Ministerium für Kultur und Wissenschaft eingegangen ist.

Bongartz weiß aus seiner Vorbereitung für den Antrag, wie wichtig die Schulen bei der Traditionspflege sind. Über 70 rheinische Martinsvereine hat er nach den Risiken für die Tradition gefragt: Auflagen und Bürokratie sind demnach das größte Risiko für die Martinsvereine, gefolgt von fehlenden Ehrenamtlern. Als Problem wird demnach auch die „spürbare Zurückhaltung“ von Schulen und Kindergärten beim Mitmachen gesehen.

Wie der letzte Martinsumzug in Hitdorf ohne Martinskomitee und ohne Brinkschulte aussah, lässt sich nicht mehr nachprüfen. Aber Leute aus dem Ort haben sich bei dem „richtigen“ Sankt Martin beklagt, dass es zum ersten Mal keine Kapelle gab und die Musik aus der Konserve in einem Bollerwagen kam.

Brinkschulte wird als Sankt Martin in diesem Jahr wieder mit den Kindergartenkindern aus dem Dorf in die Kirche gehen und ihnen anschließend die Weckmänner geben.

Nächstenliebe ist für ihn aber nicht nur ein symbolischer Akt. Er und seine Frau teilen im richtigen Leben mit Bedürftigen, wie er eher nebenbei bemerkt: „Das würde doch auch nicht zusammenpassen, wenn ein schräger Vogel Sankt Martin wäre.“