Merkel gerät mit ihrer Atompolitik unter Druck
Berlin (dpa) - Deutschland will aus der Atomkatastrophe in Japan Konsequenzen ziehen. Nur welche? Die Kanzlerin trommelt die Länder mit AKW-Standorten zusammen, um über die Sicherheit zu reden. Die Opposition fordert die Abschaltung der Altreaktoren.
Doch die Industrie kämpft.
Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) will die Ministerpräsidenten der Bundesländer mit AKW-Standorten voraussichtlich für Dienstag zum Gespräch bitten. Das sagte sie am Sonntagabend in einem ARD-„Brennpunkt“. Man müsse aus den Erkenntnissen über die japanische Katastrophe lernen.
Unions-Fraktionschef Volker Kauder deutete an, in welche Richtung überlegt wird. „Ein zentrales Thema ist die Kühlwasserversorgung“, sagte Kauder im ZDF. Er verwies dabei auf die Notstromversorgung.
Einen sofortigen Ausstieg aus der Atomkraft lehnt Merkel aber ab. Den besorgten Menschen wolle sie sagen: „Die deutschen Kernkraftwerke sind nach Maßgabe dessen, was wir wissen, sicher.“ Andernfalls müsste sie wegen ihres Amtseides die Kraftwerke sofort abschalten lassen. Die Kernenergie sei eine Übergangstechnik und der Ausbau der alternativen Energien werde auch noch einmal auf die Tagesordnung kommen.
SPD, Grüne und Linke fordern dagegen eine grundlegende Kehrtwende in der Atompolitik. SPD-Chef Sigmar Gabriel verlangte von der Bundesregierung drei Konsequenzen aus der Atomkatastrophe: die Abschaltung der sieben Altreaktoren, die Rücknahme der Verlängerung der Reaktorlaufzeiten und die Erhöhung der Prüfmaßstäbe. Im ZDF warf Gabriel der Bundesregierung vor, „die Prüfmaßstäbe verschlechtert“ zu haben. Merkel erklärte dagegen, die Sicherheitsstandards seien ständig fortentwickelt worden. Die Probleme müssten auch mit den europäischen Partnern erörtert werden, zumal einige Länder neue AKW planten.
Gabriel sagte im ARD-„Bericht aus Berlin“, Kühlprobleme könne es auch in deutschen Altreaktoren geben. „Das Problem ist der Stromausfall. Das Erdbeben hatte einen Stromausfall zur Folge. Und dann hat die Notstromversorgung nicht funktioniert.“ Die Kraftwerke Biblis A und Biblis B hätten keine getrennte Versorgung.
Die Atomlobby kämpft jedoch um ihre Reaktoren. „Jeder deutsche Reaktor ist auf jeden Fall besser ausgerüstet als der in Fukushima“, sagte der Präsident des Deutschen Atomforums, Ralf Güldner, dem „Handelsblatt“ (Montag). An der Verlängerung der Laufzeiten solle nicht gerüttelt werden. Die Lage in Japan sei einmalig. „Eine Verkettung solcher außergewöhnlichen Naturkatastrophen ist für Deutschland nicht vorstellbar.“
Merkel hatte dagegen nach einem Krisentreffen am Samstag im Kanzleramt die Katastrophe in Japan als „Einschnitt für die Welt“ bezeichnet. Wenn in einem hoch entwickelten Land wie Japan mit höchsten Sicherheitsstandards ein solcher Unfall passiere, könne auch Deutschland nicht einfach zur Tagesordnung übergehen. Für diese Woche kündigte sie eine Debatte im Bundestag zu den Konsequenzen an.
In Stuttgart demonstrierten am Samstag bis zu 60 000 Menschen gegen die beschlossene Laufzeitverlängerung; in Baden-Württemberg wird am 27. März gewählt. Am Sonntag gab es Proteste im niedersächsischen Gorleben. Für Montag kündigten Initiativen in mehr als 130 deutschen Orten „Anti-Atom-Mahnwachen“ an. Greenpeace forderte die Abschaltung der Altreaktoren. Man habe deren Laufzeiten verlängert, obwohl Sicherheitsmängel bekannt seien.
Grünen-Fraktionschef Jürgen Trittin kritisierte Merkels Ankündigung einer Überprüfung der Sicherheitsstandards. „Es ist eine zweideutige Botschaft, auf der einen Seite zu behaupten, deutsche Anlagen seien sicher, auf der anderen Seite eine Überprüfung anzukündigen, wie es die Kanzlerin tat“, sagte er. „Kein Reaktor der Welt, auch keiner in Deutschland, ist für den Fall einer Kernschmelze ausgelegt.“ Und: „Eine Nachrüstung ist nicht vorstellbar.“ Grünen-Chefin Claudia Roth geißelte die Atomkraft als „nicht beherrschbare hochgefährliche Risikotechnologie“.
Linke-Parteichef Klaus Ernst plädierte für ein Verbot der Nutzung der Kernkraft zur Energiegewinnung. „Es muss ein für allemal gesetzlich festgelegt werden, dass die Nutzung der Kernkraft zur Stromgewinnung und der Export von Atomanlagen verboten ist“, sagte er dem „Hamburger Abendblatt“ (Montag). „Atomkraftwerke sind tickende Zeitbomben. Wir wollen den sofortigen Einstieg in den Ausstieg.“
FDP-Chef Guido Westerwelle erklärte, angesichts des tausendfachen Leids sei nicht die Zeit für parteipolitische Debatten über die Risiken der Atomkraft. Er betonte aber, dass wegen der Geschehnisse in Fukushima möglicherweise besonders die Kühlsysteme in den 17 deutschen AKW unter die Lupe genommen werden könnten.
Umweltminister Röttgen räumte ein, dass sich die Frage der Beherrschbarkeit der Atomrisiken stelle. In den ARD-„Tagesthemen“ nannte Röttgen am Samstag die Kernkraft als Auslaufmodell.