Besuch auf Milchviehbetrieb Merkel löst Wahlkampf-Versprechen ein - und geht aufs Land
Nienborstel (dpa) - Nur wenige Stunden nach der Geburt hat „Wirbelwind“ bereits eine Patin. Bundeskanzlerin Angela Merkel übernimmt bei einem Besuch auf dem Milchviehbetrieb der Familie Trede im schleswig-holsteinischen Nienborstel die Patenschaft für das Kalb.
Mit der Visite auf dem Hof löst die Kanzlerin ein weiteres Versprechen aus dem Wahlkampf ein. Zu Beginn ihrer Reisen aufs Land zeigt sich Merkel bei einem Besuch von Altenpfleger Ferdi Cebi in Paderborn noch ein wenig abgekämpft, wohl vom monatelangen Ringen um die Regierungsbildung und dem Asylstreit mit der Schwesterpartei CSU. Am Mittwoch in Köln bei einem Treffen mit Natalie Dedreux, einer Frau mit Down-Syndrom, ist die Regierungschefin dann schon etwas entspannter.
Zum Abschluss ihrer Tour wirkt Merkel auf dem Hof mit 140 Milchkühen hoch im Norden regelrecht entspannt. Dorfbewohner empfangen sie mit kräftigem Applaus. Einige stimmen zwei Tage nach dem 64. Geburtstag Merkels ein „Happy Birthday“ an. Die Kanzlerin lächelt, geht auf die Menschen zu, zeigt sich bürgernah und begrüßt nacheinander jeden auf dem Hof. Immer wieder nimmt sich die Kanzlerin dabei Zeit für einen Plausch. Sie kommt locker rüber und wirkt gelöst.
Die Reise in die Provinz, weg von den Problemen in Berlin, tut Merkel sichtlich gut. Etwa anderthalb Stunden nimmt sie sich Zeit für einen Rundgang, schaut sich interessiert die neue Melkanlage an und setzt sich für Kaffee und Kuchen mit der Familie Trede an den Tisch.
„Sie war einfach, sehr einfach, sehr menschlich“, sagt Ursula Trede. Die Kanzlerin löst ein Versprechen ein, dass sie Trede im Bundestagswahlkampf gab. Sie hatte Merkel in der ARD-„Wahlarena“ in Lübeck auf ihren Hof eingeladen.
„Sie hat sich richtig eingebracht und gut zugehört“, sagt Trede nun. Merkel habe gesagt, ihr seien die Existenznöte mittlerer Betriebe bei niedrigen Milchpreisen in der Form nicht bewusst gewesen. Vor der Presse signalisiert die Kanzlerin anschließend Verständnis. Sie wolle mit Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner (CDU) über die Probleme sprechen. Nötig seien Bedingungen, unter denen „auch mittlere Milchviehbetriebe gut existieren können“.
Auch in der Landwirtschaft gibt es für die große Koalition genügend Handlungsbedarf. Erst vor kurzem wurde noch einmal deutlich, dass gerade durch die Landwirtschaft der Nitrateintrag in das Grundwasser besorgniserregend ist. Die Deutsche Umwelthilfe will vor Gericht einen besseren Schutz des Grundwassers erstreiten.
Als sich US-Präsident Donald Trump und Russlands Präsident Wladimir Putin in Helsinki treffen, besucht Merkel in Ostwestfalen ein Altenheim. Auch hier löst sie eine Zusage ein, die sie in einer Wahlkampfsendung gab: Einmal Cebis Schatten sein, um sich ein Bild von jenem Job zu machen, der so sehr mit Personalnot und schwierigen Arbeitsbedingungen zu kämpfen hat.
Erst bei diesem Wahlkampfauftritt hatte Merkel erkannt, wie stark das Thema Pflege den Bürgern unter den Nägeln brennt. Die Zahl der Pflegebedürftigen ist in den letzten Jahren stark gestiegen und liegt inzwischen bei drei Millionen Menschen. Zwar hatte der frühere Gesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) bereits mehrere Pflegereformen mit einer spürbaren Anhebung der Pflegeversicherungsbeiträge verabschiedet. Doch das reicht offensichtlich noch nicht aus. Gröhe-Nachfolger Jens Spahn (CDU) hat schon unmittelbar nach seinem Amtsantritt weitere Reformen und Beitragsanhebungen angekündigt. Zudem sollen die Betreuer vor allem in der Altenpflege mehr Geld bekommen.
Zwei Stunden lang unterhält sich Merkel denn auch mit Heimbewohnern, Pflegern und Heimvorstand. Als sie mit Cebi und einer Pflegebedürftigen allein war, berichtet der Pfleger später, habe sie auch selbst einmal versucht, der alten Dame Essen zu reichen. „Sie hat das richtig gut gemacht“, lobt er.
An diesem Freitag wird Merkel die politische Realität wieder einholen. Dann stellt sie sich - unmittelbar vor ihrem Urlaub - auf ihrer traditionellen Sommerpressekonferenz den Fragen der Hauptstadtjournalisten. Der aufzehrende Asylstreit mit CSU-Chef und Innenminister Horst Seehofer und der mühsam gefundene Kompromiss werfen unter anderem die Frage nach dem Haltbarkeitsdatum der dritten großen Koalition unter Merkel auf.