Städtetag für „Blaue Plakette“ München erwägt Diesel-Fahrverbot und entfacht Streit
München/Berlin (dpa) - Mit Überlegungen für Diesel-Fahrverbote heizt nun auch die bayerische Metropole München den Streit über schärfere Maßnahmen gegen die Luftverschmutzung in deutschen Städten an.
Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) sagte am Mittwoch der Deutschen Presse-Agentur, dass man über Zufahrtsbeschränkungen für Dieselautos nachdenken müsse - „wenn es keine andere Lösung gibt - und ich kenne gerade keine“. Die Bundesregierung sieht wegen zu hoher Emissionen Handlungsbedarf, ist aber uneins über mögliche kommunale Fahrverbote.
Der Städtetag machte sich erneut für eine „Blaue Plakette“ stark, die nur schadstoffärmeren Autos die Einfahrt in belastete Innenstädte erlauben würde. „Wenn sich die Stickoxid-Grenzwerte weiterhin nicht einhalten lassen, kommen wir in einigen Städten um Fahrverbote nicht herum“, sagte der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städtetags, Helmut Dedy, den „Ruhr Nachrichten“ (Donnerstag).
Es sei unverständlich, dass sich die Bundesregierung nicht auf die Einführung der Blauen Plakette einigen könne. „Das ist fahrlässig“, sagte Dedy. Als Kennzeichnung für Dieselfahrzeuge, die am wenigsten Stickoxid ausstoßen, sei sie „ein Instrument, um mögliche Fahrverbote auch kontrollieren zu können“.
Das Bundesumweltministerium betonte, es gehe um das Gebot einer sauberen Luft. „Fahrverbote sind das allerletzte Mittel, was eine Stadt anwenden kann und notfalls auch anwenden muss“, sagte ein Sprecher in Berlin. Das Verkehrsministerium bekräftigte dagegen, Fahrverbote seien ein falscher politischer Ansatz. Wirkungsvoller wäre, Fahrzeuge wie Busse und Taxis, die ständig in Innenstädten unterwegs sind, auf alternative Antriebsformen umzustellen.
Hintergrund der Überlegungen in München sind neuere Abgas-Messwerte, die die „Süddeutsche Zeitung“ vorgelegt hat, wie OB Reiter sagte. Der von der EU zugelassene Mittelwert für die Belastung durch giftiges Stickstoffdioxid wird demnach nicht nur auf den großen Ring- und Einfallstraßen regelmäßig überschritten, sondern auch in weit davon entfernten Gegenden. Von einem Fahrverbot betroffen wären laut „SZ“ - je nach angewandter Abgasnorm - zwischen 133 000 und 170 000 Autos. Insgesamt haben 295 000 in München zugelassenen Autos Dieselmotoren.
Die Umweltorganisation Greenpeace begrüßte die Überlegungen: „Endlich ist einem Bürgermeister die Gesundheit der Menschen wichtiger als freie Fahrt für schmutzige Diesel.“ Handwerk, Industrie und Handel in Bayern lehnten die Pläne ab. Der Verband der Automobilindustrie erklärte, es gebe „intelligentere und schneller wirkende Maßnahmen“ als Fahrbeschränkungen - etwa die Verbesserung des Verkehrsflusses.
Der Vorsitzende des Bundestags-Verkehrsausschusses, Martin Burkert, warb für neue Konzepte bei Lastwagen-Transporten. Denkbar wäre, „dass wir den Lkw-Verkehr vor den Städten lassen und dann mit Elektro-Lkws die Zulieferung machen“, sagte der SPD-Politiker der Deutschen Presse-Agentur. Er verteidigte zugleich Überlegungen für Fahrverbote, die aber am Schluss stehen sollten.
Grünen-Spitzenkandidat Cem Özdemir will die Umstellung auf Elektromotoren beschleunigen. „Ich will emissionsfreie Fahrzeuge mit einer Gutschrift bei der Kfz-Steuer entlasten. Das Geld kommt von großen, abgasintensiven Autos“, sagte er der „Wirtschaftswoche“.
Beim Vorgehen gegen zu hohe Abgaswerte von Diesel-Fahrzeugen in den Innenstädten gibt es bundesweit verschiedene Ansätze. In Stuttgart soll es von 2018 an Fahrverbote an Tagen mit besonders hoher Luftverschmutzung geben - aber nur als allerletztes Mittel, wenn andere Instrumente wie Nachrüstungen an Diesel-Autos nicht wirken. Hamburg plant Fahrverbote auf Teilen zweier Hauptverkehrsstraßen. In Köln, Düsseldorf und Dortmund stehen flächendeckende Fahrverbote für Dieselfahrzeuge dagegen derzeit nicht zur Diskussion.