Parteitag: Merkel will CDU neuen Halt geben
Leipzig (dpa) - Mit einem klaren Bekenntnis zu Europa und einem Signal für flächendeckende Mindestlöhne will Kanzlerin Angela Merkel ihrer verunsicherten CDU neue Orientierung geben. Beim CDU-Parteitag am Montag in Leipzig rief sie Partei und Bürger zu mutigen Reformen auf.
„Wir leben in Zeiten epochaler Veränderungen“, sagte die CDU- Chefin. Es könnten heute nicht Antworten von vor 30 Jahren für richtig gehalten werden. Überraschend machte sie sich für ein neues Verbotsverfahren gegen die rechtsextreme NPD stark.
Nach den Neonazi-Morden an neun Ausländern und einer Polizistin will Merkel die Erfolgsaussichten für ein solches Verfahren prüfen lassen. Einen ersten Anlauf hatte das Bundesverfassungsgericht 2003 gestoppt, weil Verbindungsleute des Verfassungsschutzes in der NPD aktiv waren. Merkel nannte die Morde eine Schande für das Land.
Die CDU bekennt sich jetzt grundsätzlich zu Mindestlöhnen in Deutschland, gibt dafür aber keine Höhe vor. Aushandeln sollen sie Gewerkschaften und Arbeitgeber in Regionen, wo es keine Tarifverträge gibt - Richtschnur sollen die Niveaus der etwa zehn bereits geltenden Lohnuntergrenzen in Deutschland sein. Einen erst am Vortag zwischen den Parteiflügeln vereinbarten Kompromiss beschloss der Parteitag mit breiter Mehrheit bei neun Gegenstimmen und acht Enthaltungen.
Merkel warb für die Pläne, für die vor allem der Sozialflügel der CDU gekämpft hatte. „Niemand von uns will einen flächendeckenden, einheitlich politisch festgelegten gesetzlichen Mindestlohn.“ Zur Realität gehöre aber auch, dass es nicht für alle Beschäftigungsverhältnisse Tarifverträge gebe. Da sich der Koalitionspartner FDP gegen Mindestlöhne wendet, gilt ihre Einführung in dieser Legislaturperiode als unwahrscheinlich.
Mit Blick auf die Schuldenkrise in Europa bat Merkel die CDU ungewöhnlich offen um Geschlossenheit und Veränderungsbereitschaft. Der Parteitag müsse das Signal senden: „Wir verzagen nicht, wir jammern nicht, wir nörgeln nicht, sondern wir wissen, dass wir eine Aufgabe haben.“ Dann könne die CDU die große Volkspartei der Mitte bleiben. Die Europäische Union sei vielleicht „in der schwersten Stunde“ seit dem Zweiten Weltkrieg. „Die historische Bewährungsprobe unserer Generation ist es, zu zeigen, dass unser Kontinent, unser Europa es schaffen kann, den Augenblick der Krise zu einer Wende zum Guten zu nutzen.“
Der Parteitag beschloss einen Europa-Leitantrag, wonach die CDU die Eurozone mit allen 17 Mitgliedsstaaten verteidigen, chronischen Schuldenstaaten aber einen freiwilligen Austritt ermöglichen will. Ferner setzt sich die CDU für eine Finanztransaktionssteuer ein - notfalls auch nur in der Eurozone ohne den Finanzplatz London. Die Kriterien zur Euro-Stabilisierung sollen verschärft werden.
Der Vorsitzende der Europäischen Volkspartei (EVP) und frühere belgische Regierungschef Wilfried Martens sagte vor den Delegierten: „Der Schlüssel zur Lösung der europäischen Schuldenkrise liegt in Deutschland.“ Mit den umgesetzten Sozial- und Arbeitsmarktreformen sei die Bundesrepublik ein „Modell für ganz Europa“. Generalsekretär Hermann Gröhe betonte, als „die deutsche Europapartei“ werde sich die CDU antieuropäischen Stimmungsmachern in der Krise entgegenstellen.
Merkel verteidigte die CDU-intern umstrittenen Kursänderungen etwa auch beim Atomausstieg und der Wehrpflicht, bei denen die CDU weder Fundament noch Kompass verliere. Sie stellte sich hinter die lange umstrittenen Pläne für eine neue Schulpolitik, über die der Parteitag an diesem Dienstag abstimmen soll. Gemäß einem Zwei-Wege-Modell soll es demnach neben dem Gymnasium eine Oberschule geben, in der Haupt- und Realschulen zusammengelegt werden. Merkel bekannte sich klar „zum Gymnasium und gegen die Einheitsschule“, fügte aber auch hinzu: „Funktionierende Hauptschulen können und werden bestehenbleiben.“