Pflegereform: Mehr Hilfe für Demenzkranke
Berlin (dpa) - Die Bundesregierung will die Situation der rund 1,4 Millionen Demenzkranken verbessern. Erste Hilfen sollen schon im nächsten Jahr wirksam werden - noch bevor 2013 der Beitragssatz zur Pflegeversicherung erhöht wird.
Gesundheitsminister Daniel Bahr (FDP) legte dazu am Mittwoch nach einer Kabinettssitzung Eckpunkte vor.
Demnach sollen Angehörige bei der häuslichen Pflege mehr unterstützt und auch alternative Wohnformen für Demenzkranke mit Betreuungspauschalen gefördert werden. Bei der Abrechnung von Pflegeleistungen will Bahr „weg vom starren Konzept der Minutenpflege“ hin zu flexiblen Zeitkontingenten. Opposition, Gewerkschaften und Sozialverbände sprachen allerdings von einem „Flickwerk“.
Mit dem Eckpunktepapier bekräftigte das Kabinett die Absprachen in der Koalition der vergangenen Woche. Bahr kündigte einen Gesetzentwurf für das erste Halbjahr 2012 an, ohne jedoch weitere Details zu nennen.
Mit der Anhebung des Beitragssatzes bei der Pflegeversicherung zum 1. Januar 2013 von 1,95 auf 2,05 Prozent werden Mehreinnahmen von 1,1 Milliarden Euro erwartet. Damit soll die bislang als unzureichend empfundene Pflegesituation der Demenzkranken verbessert werden. Für die Versicherten bedeutet dies ein Anstieg von maximal 3,82 Euro im Monat, die bei abhängig Beschäftigten zur Hälfte vom Arbeitgeber getragen werden.
Bahr räumte ein, Demenzkranke würden bisher kaum oder gar nicht von der Pflegeversicherung berücksichtigt. Um das zu ändern, solle ein Beirat den Begriff „Pflegebedürftigkeit“ bis 2013 neu definieren. Bisher gelten vor allem körperliche, selten aber geistige Gebrechen als Kriterium für die Unterstützung. Auch bei Demenzkranken solle allerdings der Grundsatz „ambulant vor stationär“ gestärkt werden.
Der Krankenkassenverband GKV forderte die Bundesregierung auf, die Pläne schnell in ein Gesetz zu gießen und dabei die Finanzierung im Blick zu halten: „Wenn die Leistungen ausgeweitet werden, bevor die angekündigte Beitragserhöhung umgesetzt ist, droht eine Finanzierunglücke“, sagte ein Sprecher. SPD-Generalsekretärin Andrea Nahles warf der Koalition vor, die Neufassung der Kriterien für die Pflegebedürftigkeit auf die lange Bank zu schieben. Selbst geringe Leistungsverbesserungen könnten damit erst 2013 greifen. Nahles sprach von einem verlorenen Jahr für die Betroffenen.
Sozialverbände bezweifelten, dass die 1,1 Milliarden Euro alle Kosten abdecken werden. Der Beirat hatte bereits 2009 die Aufwendungen für eine bessere Betreuung von Demenzkranken mit bis zu vier Milliarden Euro beziffert. Laut VdK-Berechnungen sind allein für die häusliche Pflege der Demenzkranken mindestens drei Milliarden Euro pro Jahr notwendig.
Bahrs ursprüngliche Pläne für eine zusätzliche verpflichtende private kapitalgedeckte Vorsorgeversicherung scheiterten am Widerstand der CSU. Geplant ist jetzt eine Art freiwilliger „Pflege-Riester“, der ab 2013 auch steuerlich gefördert werden soll. Auch dazu nannte Bahr noch keine Details. In den nächsten 50 Jahren könnte die Zahl der Demenzkranken laut dem Barmer-GEK-Pflegereport auf 2,5 Millionen steigen.
Der Deutsche Gewerkschaftsbund kritisierte, eine steuerliche Förderung löse die anstehenden Probleme nicht. Sie seien vor allem eine weitere Subvention für die privaten Versicherungen, sagte Vorstandsmitglied Annelie Buntenbach. Verhaltenes Lob kam vom Bundesverband privater Anbieter sozialer Dienste, der den ersten Schritt zu einer Pflegereform sieht.