Erprobtes „Kanzlermodell“ Politikforscher sagt Merkel-Sieg und Zweierkoalition voraus
Berlin (dpa) - Kanzlerin Angela Merkel (CDU) kann nach Berechnungen von Politikwissenschaftlern mit einem Sieg bei der Bundestagswahl rechnen - und dann zwischen FDP oder Grünen als Koalitionspartner wählen.
Das ergibt sich aus dem 2002 erstmals mit Erfolg erprobten „Kanzlermodell“ von Thomas Gschwend (Mannheimer Zentrum für Europäische Sozialforschung MZES an der Universität Mannheim) und Helmut Norpoth (Universität Stony Brook in New York).
„Die Beliebtheitswerte von (SPD-Herausforderer) Martin Schulz sind derzeit viel zu niedrig, um Kanzler zu werden. Um das zu ändern, bräuchte er ein politisches Erdbeben“, sagt Norpoth. Sowohl ein Zweierbündnis von CDU/CSU und FDP als auch von CDU/CSU und Grünen käme laut Gschwend/Norpoth auf gut 49 Prozent der Zweitstimmen - das würde für eine Regierung reichen.
Nach den jüngsten Umfragen von Emnid (29. Juli) kämen Schwarz-Gelb und Schwarz-Grün auf jeweils 46 Prozent - dann wäre ein dritter Koalitionspartner nötig. Bei Infratest dimap (27. Juli) und der Forschungsgruppe Wahlen (21. Juli) erreicht die Union im Zweierbündnis mit FDP und Grünen je 48 Prozent - das wäre ein Patt mit den anderen vier Parteien, die derzeit in den Bundestag kommen können. Bei Insa (25. Juli) hätten CDU/CSU weder mit den Liberalen noch mit den Grünen eine Mehrheit.
Das Modell der Politikwissenschaftler aus Mannheim und New York konzentriert sich darauf, den Sieger beziehungsweise künftigen Kanzler zu prognostizieren - und damit lag man zuletzt bei Gerhard Schröder 2002 und Angela Merkel 2005, 2009 und 2013 stets richtig.
Die Berechnung setzt sich von der klassischen Demoskopie ab, indem sie drei Faktoren einbezieht: die Popularität der Amtsinhaberin oder des Amtsinhabers, gemessen in Umfragen; den langfristigen Rückhalt der Parteien, gemessen als Durchschnitt der Ergebnisse bei den drei vorherigen Bundestagswahlen; den „Abnutzungsprozess“ von Amtsinhaberin oder -inhaber, gemessen an der Zahl der Amtsperioden.
Mit Hilfe statistischer Verfahren berechnen Gschwend und Norpoth, wie das Zusammenwirken der drei Faktoren zu gewichten ist und wie sie sich auf die Stimmabgabe auswirken. Die Formel hatte vor 15 Jahren erstmals funktioniert, als sie entgegen den Umfragen die Wiederwahl von Rot-Grün unter Schröder exakt vorhersagte. Daraufhin war in manchen Medien von einer „Zauberformel“ die Rede. Es gab allerdings nach der Wahl 2005 auch Kritik an der Methode.
Nach MZES-Angaben vom Dienstag sind zwei der drei Faktoren auch jetzt wieder schon lange bekannt: Merkel hat drei Amtszeiten hinter sich und demzufolge mit einem gewissen Abnutzungseffekt zu kämpfen; Schwarz-Gelb kann sich auf langfristigen Wählerrückhalt von rund 46,6 Prozent verlassen. „Ändern könnte sich höchstens noch der dritte Faktor: Laut Umfragen im Juli wollen, Unentschlossene abgezogen, rund 66 Prozent Angela Merkel als Kanzlerin, nur rund 34 Prozent dagegen Martin Schulz.“ Setze man diese Werte in die Mannheim/New Yorker Formel ein, „so ergibt sich als vorläufige Prognose ein Zweitstimmenanteil von rund 49,8 Prozent für Schwarz-Gelb“.
„Eine absolute Mehrheit für Schwarz-Gelb ist diesmal in etwa so wahrscheinlich, wie im ersten Versuch keine Sechs zu würfeln“, fasst Gschwend seine Prognose 2017 zusammen. „Also nicht vollkommen sicher, aber schon recht wahrscheinlich.“ Ähnlich hohe Werte errechneten die Wissenschaftler für Schwarz-Grün: Eine solche Koalition könnte derzeit mit 49,3 Prozent der Zweitstimmen rechnen, was ebenfalls für eine absolute Mehrheit der Mandate reichen dürfte.
Vor vier Jahren hatten Gschwend/Norpoth bei ihrer Koalitionsprognose knapp daneben gelegen, wenn auch nicht in der Kanzlerfrage. Damals habe der prognostizierte Zweitstimmenanteil für Schwarz-Gelb nur um 0,2 Prozentpunkte über dem tatsächlichen Wert gelegen, betont das MZES. „Genau 0,2 Prozentpunkte fehlten damals der FDP zum Einzug in den Bundestag, weshalb es nicht zu Schwarz-Gelb, sondern zur großen Koalition kam.“ Die eigentliche Stärke des „Kanzlermodells“ kam „wegen des damals sehr überraschenden Aufstiegs der AfD auf letztlich 4,7 Prozent nicht voll zum Tragen. Und dass die FDP aus dem Bundestag fliegt, hielten nicht nur wir für sehr unwahrscheinlich.“