Woche des Schreckens Politikwissenschaftler Korte: "Merkels Ruf als Krisenlotsin ist erodiert"

Karl-Rudolf Korte über die Anschlagsserie und ihre Auswirkungen auf die Innenpolitik.

Europol warnt vor Hunderten potenziellen Terroristen in Europa - im Bild Ermittler in Ansbach, wo bei einem mutmaßlich islamistisch motivierten Anschlag fünfzehn Menschen verletzt worden sind.

Foto: dpa

Berlin. Nach der Serie von Gewalttaten und Anschlägen ist die Debatte um die innere Sicherheit voll entbrannt. Aber wer profitiert politisch davon? Unser Berliner Korrespondent Werner Kolhoff sprach mit dem Duisburger Politikwissenschaftler Karl-Rudolf Korte.

F.: Wird die innere Sicherheit jetzt zum Wahlkampfthema schlechthin?

A.:
Die Angstindustrie verstärkt diesen Eindruck. Doch das Ereignisgewitter wird bis zum Wahltag verlässlich viele neue Themen hochspülen - nicht nur Angst vor Terror.

F.: Welche anderen Themen sehen Sie denn?

A.:
Sicherheit ist an sich schon ein Thema, aber darunter fällt auch die äußere Sicherheit. Und die soziale Sicherheit. Eben alles, was nötig ist, um mit den Gefahren in Zeiten von Ungewissheit umgehen zu können, die eine globalisierte Nation wie Deutschland derzeit erreichen. Auch die Stabilität des Euro und konjunkturelle Ängste spielen eine Rolle.

F.: Angela Merkels Stärke beruhte bisher darauf, dass sie die Deutschen sehr sicher durch die Fährnisse dieser Welt geführt hat. Gilt das noch?

A.:
Dieser Nimbus ist schon seit dem letzten Sommer erodiert. Angela Merkel war vorher Orientierungsautorität und Krisenlotsin, aber jetzt wird sie von vielen Deutschen auch als Teil des Problems gesehen. Man gibt ihr die Mitschuld daran, dass traditionelle Staatsaufgaben wie die Sicherung von Außengrenzen nicht mehr gelten.

F.: Ist es aus Merkels Sicht da eine richtige Strategie, dass sie sich jetzt öffentlich so zurückhält?

A.:
Ja, denn dies ist eine Lage, bei der sich die Innenminister profilieren müssen. Von denen wird das jetzt auch erwartet.

F: Es ist also die Stunde des Innenministers Thomas de Maizière?

A.: Auch der Länder-Innenminister. Überhaupt der etablierten Institutionen der inneren Sicherheit. Angela Merkel könnte jetzt wenig bewirken. Und mit einer großen seelsorgerischen Kanzlerin-Rede gegen die Angst wäre es auch nicht getan.

F.:
Die CSU prescht mit einer ganzen Reihe von Vorschlägen zur inneren Sicherheit vor. Würden Sie der CDU raten, darauf einzugehen?

A.:
Beide Parteien müssen jetzt viel sachlicher über Lösungen diskutieren, unabhängig von ideologischen oder gar persönlichen Auseinandersetzungen. Der bisherige Reiz-Reaktionsmechanismus zwischen beiden Parteien - die einen schlagen etwas vor, die anderen lehnen es ab - muss hier jedenfalls durchbrochen werden. Das erwarten die Wähler.

F.: Ist die CDU dabei in der Defensive, weil viele sagen: Ihr habt uns die Flüchtlinge ins Land geholt, jetzt müsst ihr für Sicherheit sorgen?

A.:
Ja, aber die bürgerliche Mitte ist insgesamt in der Defensive, auch der Koalitionspartner SPD. Spätestens seit der berühmten Silvesternacht von Köln.

F.: Wird die AfD unmittelbar von dieser Lage profitieren?

A.:
Nein, denn jeder weiß, dass die Regierungspolitik nicht unmittelbar verantwortlich ist für die Ereignisse, die seitens der Täter auch sehr individuelle Hintergründe haben. Ich sehe es eher gegenteilig. Etablierte Parteien profitieren über das Kompetenzfeld innere Sicherheit.

F.: Welche Rolle kommt den linken Parteien in dieser Situation zu?

A.:
Sie können sich profilieren, wenn sie für Demokratiestandards werben, die jetzt nicht verloren gehen dürfen. Dazu gehört auch die Solidarität mit den Fremden und Flüchtlingen. Mit weniger Ungleichheit und mehr Bildung lässt sich unser Gesellschaftsmodell verteidigen. Auf diesen Feldern muss Opposition strategisch punkten.