SPD am Scheideweg Schulz wirbt für Leistungen der großen Koalition

Berlin (dpa) - Zehn Wochen nach der Bundestagswahl und dem Scheitern von Jamaika droht der SPD bei ihrem Parteitag eine erste Zerreißprobe über die Frage einer großen Koalition.

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Die Jusos wollen bei dem Treffen an diesem Donnerstag gegen den Willen der SPD-Spitze ein Votum erzwingen, das ein neues Bündnis mit CDU/CSU ausschließt. In einem Änderungsantrag heißt es, die Koalition sei „kein denkbares Ergebnis der Gespräche“. Damit blieben nur die Optionen Neuwahl oder eine Minderheitsregierung von Kanzlerin Angela Merkel (CDU). In der SPD gibt es starke Vorbehalte gegen eine erneute Koalition, zumal man nach dem letzten Bündnis mit der Union auf 20,5 Prozent bei der Bundestagswahl abgestürzt war.

Vor dem wegweisenden Parteitag hob der Vorsitzende Martin Schulz demonstrativ die Erfolge der Sozialdemokraten in der großen Koalition mit der Union hervorgehoben. „Die SPD kann stolz sein auf das, was sie in dieser Regierung geleistet hat“, sagte Schulz am Mittwoch bei einer außenpolitischen Konferenz in Berlin.

An diesem Donnerstag stimmt der Parteitag darüber ab, ob Schulz in der nächsten Woche ergebnisoffene Gespräche mit der Union über eine Regierungsbildung beginnen darf. Viele machen das Bündnis mit CDU/CSU für die bittere Wahlniederlage mit dem schlechtesten Ergebnis der Nachkriegszeit verantwortlich.

Außenminister Sigmar Gabriel widersprach dieser Einschätzung. „Ich bin der festen Überzeugung, dass die Krise der deutschen Sozialdemokratie weniger etwas mit dem Regierungsbündnis mit den Konservativen in Deutschland zu tun hat, als mit diesen völlig veränderten Rahmenbedingungen für sozialdemokratische Politik“, sagte der geschäftsführende Vizekanzler.

Er gehe deswegen davon aus, dass die Entscheidung über eine erneute Regierungsbeteiligung für „die Frage des Überlebens der Sozialdemokratie in diesem Land relativ egal“ sei. „Die Obsessivität, mit der wir das Überleben unserer Partei in diesem Land, an diese Frage (der Regierungsbeteiligung) koppeln, die ist mit Sicherheit falsch.“

Gabriel forderte, die SPD müsse wieder sozialdemokratischer werden. „Bei uns gibt es oftmals zu viel Grünes und Liberales und zu wenig Rotes“, sagte er. Wie auch Schulz sprach er sich für eine radikale europäische Ausrichtung der Sozialdemokraten aus.

Schulz sagte, trotz der bitteren Niederlage bei der Bundestagswahl müsse die SPD den Anspruch verteidigen, das Leben der Menschen jeden Tag ein Stückchen besser zu machen. Den Absturz auf 20,5 Prozent bettete er in die Krise der europäischen Sozialdemokratie ein. Alle Sozialdemokraten müssten sich fragen, „was verbindet uns im Niedergang“. Dabei seien traditionelle Werte wie Solidarität, Respekt und Demokratie in einer sich auflösenden Weltordnung eigentlich das „modernste Politikangebot“.

Der SPD-Chef stellt sich an diesem Donnerstag zur Wiederwahl. Im März hatte er Gabriel an der Parteispitze abgelöst und 100 Prozent der Stimmen erhalten. Vor ihm hat das kein anderer Parteichef geschafft.

Die Parteispitze stellt in ihrem Antrag für die Gespräche mit der Union mehrere Bedingungen für ein Regierungsbündnis. Zu den roten Linien zählen eine Verschmelzung gesetzlicher und privater Krankenversicherungen zu einer Bürgerversicherung und ein Ende der Aussetzung des Familiennachzugs von Flüchtlingen.

Die Jungsozialisten wollen die große Koalition verhindern und einen entsprechenden Antrag zur Abstimmung stellen. Der konservative Flügel in der SPD warnte die Gegner einer möglichen Regierungsbeteiligung, sich vor der anstehenden Verantwortung zu drücken. „Spätestens das Scheitern der Sondierungsverhandlungen für eine Jamaika-Koalition hat gezeigt, dass wir bei aller Beschäftigung mit uns selbst nicht in eine Oppositionsromantik verfallen dürfen“, heißt in einem 21-Thesen-Papier des „Seeheimer Kreises“ zur Erneuerung der SPD. Die Partei müsse vorangehen, die richtigen Antworten geben und den eigenen Führungsanspruch deutlich machen.

Hamburgs Bürgermeister Olaf Scholz geht nicht davon aus, dass eine neue Bundesregierung noch in diesem Winter steht. „Mit einer wie auch immer gearteten Regierungsbildung rechne ich nicht vor dem Frühjahr“, sagte der SPD-Bundesvize dem „Hamburger Abendblatt“ (Mittwoch). Das sei aber nicht schlimm und auch keine instabile Situation, da Deutschland eine geschäftsführende Bundesregierung von Union und SPD habe. Minister in Berlin wolle er nicht werden.