Berlin Schwere Zeit für Weihnachtsgefühle: Einfach zu viele Krisen

Der Bundestag geht in die Weihnachtspause. Die Stimmung beim fraktionsübergreifenden Adventssingen ist gedrückt.

Nicht nur Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU, M) fiel es schwer, eine vorweihnachtliche Stimmung zu empfinden.

Foto: Kay Nietfeld

Berlin. Auf der Suche nach vorweihnachtlicher Stimmung im Bundestag wird man schnell fündig. Die Zahl der gestifteten Weihnachtsbäume ist hoch, an jedem prominenten Platz in den Parlamentsgebäuden findet sich eine prächtig geschmückte Tanne. Und man muss auch nur genau hinhören: In der letzten Sitzungswoche dieses Jahres gab es kaum einen Redner, der seinen Kollegen vom Pult aus nicht schöne Feiertage wünschte. Das allein macht aber noch keinen adventlichen Flair aus.

"Es läuft sehr gesittet in diesen Tagen. Auch in der Koalition", meinte einer, der es wissen muss. Mag sein. Doch das politische Berlin plagen Sorgen. In dieser Woche lag eine spürbare Bedrücktheit über dem Parlament, der man sich auch als Beobachter bei einem Streifzug durch die Gebäude schlecht entziehen konnte. Das galt selbst - oder gerade - für das traditionelle Adventssingen in der Halle des Paul-Löbe-Hauses, das alle Jahre wieder von einer interfraktionellen Kulturinitiative privat organisiert wird. Allen voran von dem Linken Dieter Dehm, der als Musikproduzent schon für Hits wie "1000 und 1 Nacht" von Klaus Lage verantwortlich zeichnet.

Der Posaunenchor der evangelischen Landeskirche Berlin-Brandenburg spielte am Donnerstagabend "Der Morgenstern ist aufgedrungen", Abgeordnete und ihre Mitarbeiter sangen "Vom Himmel hoch, da komm ich her" und "O du fröhliche". Ganz zwanglos. Politische Grenzen gibt es bei solchen Anlässen nicht. Ohnehin ist es ein Markenzeichen des Parlaments, dass man sich um die Sache offen und laut streitet, aber hinterher zusammen ein Bier trinken kann - oder in dem Fall eben gemeinsam Weihnachtsplätzchen isst. Bundestagspräsident Norbert Lammert war auch gekommen. Und er fasste in Worte, was viele dachten: "Ich bin vermutlich nicht der einzige, der Schwierigkeiten hat, adventliche Stimmung im eigenen Gehirn, im eigenen Gemüt zuzulassen."

Was Lammert umtrieb, waren die Bilder aus der umkämpften syrischen Stadt Aleppo. Dort habe die Weltgemeinschaft mal wieder einem "systematischen Vernichten" zugesehen, meinte Lammert. Und auch die Zustände in der Türkei führte er an. "Das, was uns das Jahr hindurch begleitet hat, ist völlig ungeeignet, die gemütliche Atmosphäre zu verbreiten, die man zu Weihnachten gerne hat."

Es gab einfach zu viele Krisen. Aber Lammert wäre nicht Lammert, wenn er nicht auch einen Mutmacher parat gehabt hätte: "Deswegen singen wir heute gegen die Verhältnisse an." Mit dabei übrigens auch der Komiker Dieter Hallervorden, der sich kritisch mit dem türkischen Präsidenten Erdogan auseinandersetzte. So politisch war dieses schöne Adventssingen wohl noch nie.

Der Bundestag ist halt keine reine Machtmaschine, die ausschließlich mal sinnvolle oder mal weniger sinnvolle Gesetze beschließt. In ihm arbeiten (überwiegend) ganz normale Menschen, die die Ereignisse in der Welt ebenfalls nicht unberührt lassen. Die sich aber auch ihre Lichterkette ins Büro hängen und den Nikolaus auf den Schreibtisch stellen. Und von denen sich manch einer sogar die Weihnachtsmütze überstülpt, wenn er zum Essen in die Kantine geht und geschmorte Entenkeule mit Rotkohl bestellt. Alle Jahre wieder. Auch im Bundestag.