Wahlanalyse Umgepflügte politische Landschaften
Das Wahljahr 2016 lässt große Parteien schrumpfen. Dreierkoalitionen werden zum Normalfall.
Berlin. Behaupte keiner, Politik sei langweilig geworden. Fünf Landtagswahlen hat die Republik in diesem Jahr erlebt. Fünf Wahlgänge, die die politische Landschaft geradezu umgepflügt haben. Kaum ein Stein, der auf dem anderen geblieben ist, kaum eine alte Gewissheit, die nicht neu hinterfragt werden müsste.
Grün-Schwarz in Baden-Württemberg. Rot-Gelb-Grün in Rheinland-Pfalz, Schwarz-Rot-Grün in Sachsen-Anhalt, Rot-Rot-Grün aller Wahrscheinlichkeit nach nun in Berlin. Nur in Mecklenburg-Vorpommern wird mit Rot-Schwarz wohl alles beim Alten bleiben. Plötzlich müssen sich politische Konstellationen in der Realität bewähren, über die bis vor kurzem nicht einmal ernsthaft nachgedacht worden ist.
Nur ein Beispiel: In einer Koalition aus drei Parteien kann die größere unter Umständen von den zwei kleineren überstimmt werden. Eine Basta-Politik, wie sie Gerhard Schröder noch in rot-grünen Regierungszeiten pflegte, scheidet damit praktisch aus. Das ist eine ziemlich neue Erfahrung. Kann das alles gut gehen? Die Chancen für ein Gelingen sind jedenfalls genauso vorhanden wie für ein Scheitern.
Zunächst einmal ist die Demokratie der Gewinner des Wahljahres 2016. Die Wahlbeteiligung hat nämlich zum Teil deutlich zugelegt. Zweifellos in erster Linie wegen der AfD. Die Rechtspopulisten haben das Lager der Nichtwähler mobilisiert wie keine andere Partei in so kurzer Zeit vor ihnen. Deswegen sollte man aber nicht hadern. Immer wieder haben die etablierten Parteien ein mangelndes Wählerinteresse beklagt.
Und offenkundig wäre das so weiter gegangen, hätte sich die AfD nicht rechts von der Union formiert. Sie füllt nun jene Leerstellen, die CDU und CSU wegen ihrer "Sozialdemokratisierung" politisch hinterlassen haben. Überhaupt sind die großen Parteien deutlich kleiner geworden. Auch die SPD. Mit knapp über 20 Prozent "stärkste" Kraft zu werden wie jetzt in Berlin und sich dafür zu feiern, das ist schon unfreiwillig komisch.
Womöglich wird sich das Land an solche Zustände gewöhnen müssen. Schon allein deshalb, weil die traditionellen Wähler-Milieus in Auflösung sind. Es gibt nicht mehr den klassischen Arbeiter, der SPD wählt. Genauso wenig, wie es noch den klassischen Konservativen gibt, der sein Kreuzchen automatisch bei der Union macht. Und ein Selbständiger muss längst nicht mehr nur auf die FDP abonniert sein. Die Grünen haben den Liberalen da zum Teil das Wasser abgegraben.
Auch, dass Angela Merkel die Union noch einmal zur alten Herrlichkeit einer 40-Prozent-Partei zurückführen könnte, ist eher unwahrscheinlich. Nach mehr als zehn Jahren im Kanzlersessel hat sich ihre Faszination weitgehend verbraucht. Dabei lehren gerade die Landtagswahlen in diesem Jahr, dass es immer stärker auf populäre Persönlichkeiten ankommt. Ohne Winfried Kretschmann hätten die Grünen in Stuttgart wohl kaum die Union überflügelt. Und ohne Malu Dreyer hätten sich die Sozialdemokraten in Mainz nicht vor der Union behaupten können. Aber solche starken Persönlichkeiten sind eben rar gesät.
So spricht einiges dafür, dass die deutsche Politik auf absehbare Zeit nur noch von kleinen und mittelgroßen Parteien bestimmt wird und Dreierkoalitionen zum Normalfall werden. Daraus kann viel Kuddelmuddel entstehen. Siehe etwa Italien. Daraus kann aber auch ein neuer politischer Stil erwachsen. Eine neue Qualität im Umgang der Parteien miteinander. Denn mehr Parteien in einer Regierung bedeuten auch, dass mehr Wähler ihre Interessen an den Schalthebeln der Macht vertreten sehen. Auch das wäre ein Gewinn für die Demokratie.