Sondierungsgespräche in Berlin Union und SPD wollen Klimaziel aufgeben
Berlin (dpa) - Union und SPD wollen in einer neuen großen Koalition die ohnehin nicht mehr erreichbaren Klimaziele für 2020 offiziell aufgeben. Mit einem Maßnahmenpaket soll aber erreicht werden, dass die Lücke zu den Zielen so weit wie möglich geschlossen wird.
Das sieht nach Informationen aus Sondierungskreisen die Einigung der Arbeitsgruppe „Energie, Klimaschutz, Umwelt“ vor. Offiziell hält Deutschland bis heute am Vorhaben fest, seinen Kohlendioxid-Ausstoß bis 2020 um 40 Prozent im Vergleich zu 1990 zu reduzieren. Grüne, Linke und Umweltverbände reagierten mit einem Aufschrei, die FDP positiv.
Die Arbeitsgruppe zur Energiepolitik hatte sich zuvor geeinigt. „Ich kann Ihnen heute berichten, dass wir mit den Sozialdemokraten innerhalb von zwei Sitzungen das Thema Energiepolitik heute abgeschlossen haben“, sagte Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) am Montagabend in Düsseldorf. Bei den letztlich gescheiterten Jamaika-Sondierungen hätten Union, Grüne und FDP noch zäh über die Energiepolitik verhandelt, mit der SPD sei dies nun kein Streitthema gewesen. Weitere Details nannte Laschet, der in der Arbeitsgruppe federführender CDU-Unterhändler ist, nicht.
Der Parlamentarische Geschäftsführer der Unionsfraktion im Bundestag, Michael Grosse-Brömer (CDU), sagte in Berlin, es habe insgesamt deutliche Fortschritte gegeben, die Arbeitsgruppen hätten aber Zwischen- und nicht Endergebnisse vorgelegt. „Es ist nichts vereinbart, solange nicht alles vereinbart ist.“ Dies betreffe auch den Klimaschutz, der für alle Seiten hohe Bedeutung habe.
Die SPD zeigte sich denn auch irritiert über Laschets Einigungsaussage. „In der SPD herrscht Erstaunen darüber, dass ein professioneller Verhandler wie Armin Laschet sich nicht an diese Regel hält“, sagte ein Parteisprecher.
Grosse-Brömer betonte weiter: „Es werden auch noch anstrengende Verhandlungen erforderlich sein, bevor man am Donnerstag ein Sondierungspapier abschließend beraten kann.“
Nach dem der Deutschen Presse-Agentur vorliegenden Ergebnispapier der Klima-AG soll eine Kommission einen Aktionsplan zum schrittweisen Ausstieg aus der Kohleverstromung erarbeiten. Darauf hatte sich die geschäftsführende große Koalition nach langem Hin und Her bereits im November 2016 geeinigt, als Teil des Klimaschutzplans 2050. Die Unterhändler streben zudem einen Anteil von 65 Prozent erneuerbarer Energien am Stromverbrauch bis 2030 an. Das wäre ein Fortschritt - bislang waren 50 Prozent vorgesehen. Zuerst hatte das Redaktionsnetzwerk Deutschland über das Klima-Papier berichtet.
Kanzlerin Angela Merkel (CDU) hatte im Wahlkampf zugesichert, Deutschland werde sein Klimaschutzziel für 2020 schaffen udn dafür Wege finden. „Das verspreche ich Ihnen“, hatte sie gesagt.
In Verhandlungskreisen wurde betont, Union und SPD gäben nicht die politischen Klimaziele auf, sondern reagierten angesichts des mit dem Wirtschaftswachstum verbundenen Energiebedarfs auf physikalische und ökonomische Notwendigkeiten. Das Ziel ist nicht im Rahmen des Pariser Klimaschutzabkommens vereinbart, sondern wurde 2007 von der damaligen großen Koalition national gesetzt.
Dass das Ziel für 2020 ohne politische Verwerfungen nicht mehr erreichbar ist, ist Klimaschützern längst klar - auch die Pläne der damaligen Jamaika-Sondierer, Kraftwerksblöcke mit einer Gesamtleistung von sieben Gigawatt abzuschalten, hätten dafür nicht gereicht. Anders als bisher soll der Klimaschutz nun gesetzlich festgeschrieben und damit auch sanktionierbar werden. Ein solches Klimaschutzgesetz hatte die SPD bisher nicht gegen die Union durchsetzen können. Die Nennung eines Enddatums für deutschen Kohlestrom wollen die Sondierer zwar noch herauszögern, aber „Ende 2018“ soll das Bekenntnis fällig werden.
Insbesondere CDU und SPD tun sich schwer, Kohleverstromung zugunsten des Klimaschutzes massiv zurückzufahren. Sie fürchten einen massiven Verlust von Arbeitsplätzen an den Kohlestandorten in West- und Ostdeutschland.
Spitzenpolitiker von Linken und Grünen sahen den Klimaschutz als erstes Opfer einer neuen GroKo. Die Umweltschutzorganisation Greenpeace sprach den möglichen Koalitionären politischen Ehrgeiz und ökologische Verantwortung ab.
Wichtiges Sondierungsthema war zudem die Steuerpolitik. Union und SPD wollen die Einkommen, ab denen der Spitzensteuersatz von 42 Prozent gilt, von knapp 55 000 Euro auf 60 000 Euro Jahreseinkommen anheben. Die SPD will aber auch noch an die Spitzenverdiener ran, was eine Einigung schwierig machen dürfte. Aus der Wirtschaft wurden Warnungen vor einer Erhöhung des Spitzensteuersatzes laut. In Verhandlungskreisen wird von einem Finanzspielraum von bis zu 45 Milliarden Euro für eine neue große Koalition ausgegangen. Eine abschließende Festlegung gebe es aber auch hier nicht, wurde betont.
Am Morgen gab es Misstöne, als Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) beim Eintreffen zu den Verhandlungen vor einer Umverteilung von Steuergeldern und zusätzlichen Belastungen für Unternehmen warnte. Kretschmer sagte: „Ich finde, Politik besteht nicht darin, möglichst viel Steuergeld auszugeben, sondern Freiräume für zukünftige Generationen zu ermöglichen.“ Unionsfraktionschef Volker Kauder (CDU) versuchte, die Äußerung einzufangen und bezeichnete sie als nicht berechtigt.
Die SPD will sowohl den Spitzensteuersatz anheben als auch Erben und Reiche stärker zur Kasse bitten, um unter anderem Arbeitnehmer zu entlasten. Der Solidaritätszuschlag soll zunächst nur für untere und mittlere Einkommen abgebaut werden.
Schulz verlangte von einer neuen Bundesregierung mit CDU und CSU eine aktivere, gestaltende Rolle in der Europäischen Union. Deutschland solle „wieder zum Motor der Europapolitik“ werden. Grosse-Brömer sagte, die Parteichefs hätten intensiv über das Thema diskutiert. „Uns liegt sehr daran, Europa weiterhin friedvoll zu gestalten“, ergänzte er. Außenminister Sigmar Gabriel (SPD) hatte am Sonntag in der ARD verlangt, dass Frankreichs Präsident Emmanuel Macron endlich eine deutsche Antwort auf seine Reformvorschläge für Europa erhält.