Vorlesestunde mit Kanzlerin - Fan von „Max und Moritz“
Stralsund (dpa) - Ritter- und Piratenbücher, antworten die Kinder auf die Frage der Kanzlerin, was sie denn so lesen. In der Kindheit von Angela Merkel waren es eher Klassiker mit Helden, die Normen und Vorgaben der Erwachsenen nicht allzu ernst nehmen.
„Max und Moritz“ von Wilhelm Busch und der „Struwwelpeter“ waren die Lieblingslektüre ihrer Kindertage, wie die Kanzlerin bei einem Besuch der Kinderbibliothek in Stralsund verriet.
Zwischen dem Griechenland-Schuldenstreit und einem Treffen mit der Queen in Berlin legte die CDU-Politikerin einen Zwischenstopp in ihrem Wahlkreis ein, um fürs Vorlesen zu werben. In einem Sessel - umringt von 20 Kindergartenkindern - las sie die Heldengeschichte „Eine Dose Kussbonbons“ vom Zebrajungen Zeo vor.
Wer Trennungsschmerz teilt, gewinnt Freunde und überwindet den Schmerz, so die Essenz der Bilderbuch-Geschichte. Einige der Kinder zeigten sich als echte Bücherwürmer. Als Merkel den Titel des Buches vorstellte, winkten sie ab: „Kenn' ich schon.“ Trotzdem folgten sie der Geschichte gebannt.
„Lesen ist wichtig, weil man sich die Dinge besser merkt, man Fantasie entwickelt und weil man allein mit sich etwas unternehmen und erleben kann“, sagte Merkel im Anschluss. Der Bibliothek übergab sie von der Stiftung Lesen produzierte Lesestart-Sets. Vom Projekt „Lesestart - Drei Meilensteine für das Lesen“ sollen vor allem Kinder profitieren, die in einem bildungsfernen Umfeld aufwachsen oder denen wenig vorgelesen wird. Zwischen 2011 und 2018 sollen bundesweit 4,5 Millionen Lesestart-Sets verteilt werden.
Rund 7,5 Millionen Menschen in Deutschland seien funktionale Analphabeten, sagte Jörg Maas, Hauptgeschäftsführer der Stiftung Lesen. Das heißt: Sie können zwar einzelne Wörter und Sätze lesen und schreiben - bei längeren zusammenhängenden Texten verstehen sie den Inhalt aber nicht. Daher sei eine frühe und niedrigschwellige Leseförderung unabdingbar. An die Kinder gerichtet sagte Maas: „Wenn man lesen kann, kann man auch Bundeskanzlerin werden.“
Laut der Vorlesestudie der Stiftung Lesen von 2013 lesen 70 Prozent der Mütter und Väter ihren Kindern täglich (26 Prozent) oder zumindest mehrmals in der Woche (44 Prozent) vor. Die Studie kommt aber auch zu dem Schluss, dass durchschnittlich in jeder siebten Familie (14 Prozent) das Vorlesen noch keine familiäre Realität ist. In diesen Familien wird selten oder nie vorgelesen.
Die Stralsunder Erzieherin Ina Biel erklärte, sie sehe immer häufiger Sprachdefizite bei Vorschulkindern. „Wir beobachten den Trend, dass immer mehr Kinder Sprachverzögerungen und damit Logopädie-Bedarf haben“, sagte die stellvertretende Leiterin der Euro-Kita „Anne Frank“. Diese Kinder begännen später mit dem Sprechen, hätten Probleme, Laute richtig zu bilden und den Sinn des Erzählten zu erfassen.
In der Kita „Anne Frank“ steht nach ihren Angaben die direkte Kommunikation mit den Kindern im Vordergrund. Das beginne bei den Einjährigen mit Bilderbüchern. Auch das Vorlesen zu Beginn der Ruhezeit am Mittag sei ein Muss. „Eine Kassette oder CD kann das Vorlesen nicht ersetzen“, ist die Erzieherin überzeugt. Das jüngste Projekt: Ein Kind darf einen Leserucksack mit Büchern übers Wochenende mit nach Hause nehmen. Damit erreiche man auch Familien, in denen bislang weniger gelesen werde, sagte Biel.