Massive Kritik an der SPD Wagenknecht: Hoch für Schulz beruht auf dem Prinzip Hoffnung
Berlin (dpa) - Martin Schulz und das SPD-Hoch bringen Spannung in den beginnenden Bundestagswahlkampf. Gibt es bald eine rot-rot-grüne Regierung?
Die Spitzenkandidatin der Linken, Sahra Wagenknecht, zeigt sich durchaus offen. Doch es gebe Bedingungen, sagt sie der Deutschen Presse-Agentur im Interview.
Spüren Sie eine Wechselstimmung in Deutschland?
Wagenknecht: Eine Wechselstimmung gibt es seit Langem in dem Sinne, dass sich die Mehrheit eine andere Politik wünscht: Eine Politik, die sich mehr um sozialen Ausgleich und Gerechtigkeit kümmert. Diese Stimmung hat sich nur lange nicht in den Umfrageergebnissen der Parteien niedergeschlagen. Die Linke hatte zwar relativ gute Werte, aber die Menschen wissen natürlich, dass wir nicht allein eine Regierung bilden können. SPD und Grünen dagegen standen wie die Union für die Politik der letzten 20 Jahre, die dieses Land immer unsozialer gemacht hat. Martin Schulz hat es geschafft, Adressat einer Wechselstimmung zu werden, indem er die Agenda 2010 kritisiert und den Eindruck vermittelt, er habe mit der Regierungspolitik der SPD in der großen Koalition nichts zu tun. Die SPD sei wieder bei ihren Wurzeln, ist seine zentrale Botschaft, aber diese Botschaft ist bisher nicht untersetzt.
Greift das nicht zu kurz? Schulz steht bei vielen für Aufbruch.
Wagenknecht: Seine Vorschläge stellen den Kern der Agenda nicht in Frage und würden weder die Altersarmut noch den großen Niedriglohnsektor eindämmen. Dennoch machen faktisch nahezu alle Medien und sogar die Arbeitgeberverbände die Inszenierung mit. Dadurch wirkt sie überzeugend. Das Hoch für Schulz beruht auf dem Prinzip Hoffnung. Nach der Wahl könnte das böse Erwachen kommen, zumindest wenn die Linke nicht so stark wird, dass sie eine echte Rücknahme der Agenda durchzusetzen kann. Ein Arbeitslosengeld Q, wie Schulz es vorschlägt, hat die SPD schon 2010 diskutiert, ein Verbot sachgrundloser Befristung stand auch 2013 im Wahlprogramm. Umgesetzt wurde das alles nicht, und einen Abschied von der Agenda-Politik bedeutet es schon gar nicht.
Immerhin stellt Schulz das Soziale nach vorn - ist das nichts?
Wagenknecht: Misstrauisch sollte machen, dass die SPD in der Regierung unverändert dazu beiträgt, die Weichen in die falsche Richtung zu stellen. Ob die noch stärkere Privatisierung der Rente durch Nahles' Betriebsrentenkonzept oder die geplante Grundgesetzänderung, die eine Teilprivatisierung von Autobahnen ermöglicht, und die PKW-Maut - alles macht die SPD trotz Schulz mit. Obwohl man unsoziale Projekte in den wenigen Monaten bis zur Wahl problemlos blockieren könnte. Ganz abgesehen davon, dass es aktuell im Bundestag eine Mehrheit für die Vorschläge von Schulz, etwa das Verbot sachgrundloser Befristung, gibt.
Für die Linken bringt das Eintreten für soziale Gerechtigkeit bisher nicht viel ein - wo liegen Ihre Versäumnisse?
Wagenknecht: Wir waren lange Zeit in den Umfragen zweistellig, jetzt haben wir ein, zwei Prozent verloren, weil viele glauben, dass die SPD es diesmal ehrlich meint. Tatsächlich wäre es gut, wenn die SPD sich so verändern würde, dass eine Regierung, die den Sozialstaat wiederherstellt und endlich einmal wieder Politik für Beschäftigte, kleine Selbstständige und Rentner macht, mit ihr möglich würde. Aber ich bin zuversichtlich: Die Menschen werden zunehmend spüren, dass es dafür einer gestärkten Linken bedarf, denn Martin Schulz hält sich bisher alles offen. Wenn die SPD es macht, wie bei den letzten Wahlen - schöne Wahlversprechen, und nach der Wahl ändert sich wieder nichts - wäre das politisches Doping für die AfD.
Wie kann denn eine starke Linke den Kurs der SPD beeinflussen?
Wagenknecht: Ohne den Druck durch eine starke Linke, gibt es wahrscheinlich wieder eine große Koalition oder die SPD versucht es unter Beteiligung der FDP. In beiden Fällen hätte sie wieder ein Alibi, warum sie ihre Versprechen nicht umsetzt. Nur wenn wir stark abschneiden, erhöht sich der Druck auf die SPD, den Weg zu gehen, auf den wohl die meisten ihrer Wähler hoffen.
Gibt es eine Koalition nur, wenn Hartz IV in der heutigen Form abgeschafft wird?
Wagenknecht: Hartz IV heißt Absturz in die Armut und die Angst davor hat prekäre Jobs und niedrige Löhne wesentlich befördert. Wer das nicht verändert, kann dieses Land nicht gerechter machen. Deshalb ist das für die Linke auf jeden Fall eine Bedingung. Wir wollen eine ordentliche Arbeitslosenversicherung wiederherstellen. Und der staatliche Zwang, auch untertariflich bezahlte oder Leiharbeit annehmen zu müssen, muss aufhören.
Gibt es bei den Linken eine Kompromissbereitschaft, von ihrem strikten Nein zu Auslandseinsätzen der Bundeswehr abzurücken?
Wagenknecht: Deutschland sollte sich für Frieden und Entspannung einsetzen und darf daher nicht Interventionskriege und Aufrüstung vorantreiben. Keiner der Kriege, an denen sich Deutschland in den letzten Jahren beteiligt hat, hat irgendein Problem gelöst. In Afghanistan ist die Bundeswehr seit 15 Jahren präsent - mittlerweile haben Zehntausende Zivilisten diesen Krieg mit ihrem Leben bezahlt, während die Taliban eher noch angesehener sind als vorher, weil die Bevölkerung den Westen für getötete Angehörige und ein zerrüttetes Land verantwortlich macht. Auch der Syrieneinsatz geht vor allem zu Lasten der Zivilbevölkerung. Oder Irak und Libyen, wo sich Deutschland zum Glück nicht direkt beteiligt hat: Diese Kriege haben die ganze Region destabilisiert und die islamistischen Mörderbanden des IS zu einer zentralen Kraft gemacht.
Nach der Landtagswahl im Saarland scheint eine linke Regierungsbeteiligung wahrscheinlich - wie groß wäre die Signalwirkung für den Bund?
Wagenknecht: Solche Signale sollte man nicht überschätzen, aber natürlich wäre ein Regierungswechsel gut, auf jeden Fall fürs Saarland. Und wenn die SPD dann tatsächlich eine sozialere Politik, bessere Bildung und Pflege mit uns gemeinsam umsetzt, wäre das ein gutes Zeichen auch für den Bund. Aber auch im Saarland gilt: nur eine starke Linke öffnet den Weg zu einer sozialeren Politik.
Sie sind ebenso wie ihr Mann Oskar Lafontaine im Wahlkampf unterwegs. Wie beeinflusst sich das gegenseitig?
Wagenknecht: Wir machen beide im Saarland Wahlkampf. Natürlich mache ich das in meiner Wahlheimat besonders gern, aber es war auch bei anderen Landtagswahlen so, dass ich die Wahlkämpfer unterstützt habe. Ebenso freue ich mich, dass Oskar Lafontaine uns in NRW im Landtagswahlkampf mit Auftritten unterstützen wird. Beide Wahlen sind sehr wichtig.