Wehrbeauftragter Königshaus hält Bundeswehr für überlastet
Berlin (dpa) - Die Bundeswehrreform und Einsätze von Afghanistan bis Mali nagen an der Moral der Truppe. Der Frust ist groß, die Motivation sinkt, der Wehrbeauftragte Hellmut Königshaus schlägt Alarm.
Königshaus hält die Bundeswehr durch die Auslandseinsätze und die laufende Strukturreform für überlastet. Bei der Vorstellung seines Jahresberichts beklagte er Personalengpässe und einen über die Jahre angewachsenen Investitionsstau bei Infrastruktur, Ausstattung und Bewaffnung der Streitkräfte.
„In vielen Bereichen ist die Grenze der Belastbarkeit erreicht, vielfach sogar überschritten“, erklärte Königshaus. Er begrüßte die Offensive von Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) für eine familienfreundliche Bundeswehr, verlangte aber zusätzliche Haushaltsmittel dafür.
Besorgt zeigte sich der Wehrbeauftragte über sexuelle Belästigungen bei der Bundeswehr. Dem Verteidigungsministerium warf er vor, eine in der vergangenen Woche veröffentlichte Studie des Zentrums für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr aus dem Jahr 2011 lange Zeit unter Verschluss gehalten zu haben. Danach wurden 55 Prozent der Soldatinnen bereits mindestens einmal sexuell belästigt. Königshaus beklagte, dass sich viele Frauen aus Angst vor persönlichen Nachteilen nicht trauten, Übergriffe zu melden.
Der Wehrbeauftragte des Bundestags gilt als „Anwalt der Soldaten“ und berichtet dem Parlament einmal im Jahr über Missstände in den Streitkräften. 2013 ist die Zahl der Beschwerden aus der Truppe bei ihm, gemessen an der Zahl der Soldaten, auf den höchsten Stand seit Beginn der Erfassung 1959 gestiegen. Auf 1000 Soldaten kamen 28 Beschwerden und damit fast ein Fünftel mehr als im Vorjahr. Insgesamt gab es 5095 Beschwerden.
Um die Zufriedenheit in der Truppe zu verbessern, verlangte Königshaus Nachbesserungen an der 2010 auf den Weg gebrachten Reform. „Es ist fraglich, ob die Bundeswehr wirklich einsatzfähiger, nachhaltig finanzierbar und attraktiver wird, wenn keine Anpassungen im laufenden Reformprozess vorgenommen werden“, sagte er. Eine Reform der Reform würde die bestehenden Unsicherheiten allerdings noch vergrößern. Die Bundeswehrreform hat zu einer Verkleinerung der Truppe von 250 000 auf rund 185 000 Soldaten geführt. 32 Standorte sollen geschlossen, 90 weitere teils drastisch verkleinert werden.
Königshaus setzt nun auf eine Umsetzung der Initiative von der Leyens für eine familienfreundlichere Bundeswehr. Er bezeichnete den Vorstoß für mehr Teilzeitarbeit und Kinderbetreuung als überfälligen Schritt. „Nun bedarf es konkreter Maßnahmen, insbesondere der Bereitstellung zusätzlicher Haushaltsmittel für diesen Zweck.“
Von der Leyen bekräftigte bei einem Truppenbesuch im Gefechtsübungszentrum Letztlingen in Sachsen-Anhalt ihre Pläne und betonte, für wie wichtig sie eine hochmoderne Ausstattung der Bundeswehr hält. „Die Soldatinnen und Soldaten leisten einen außergewöhnlichen Dienst für dieses Land, für uns in Europa, das sehen wir an den aktuellen Einsätzen“, sagte sie. „Deshalb muss auch ganz klar sein, dass für die Soldatinnen und Soldaten die beste, optimale Ausrüstung da ist, denn die schützt Leben.“
Der Koalitionspartner SPD bekräftigte seine Forderung nach Nachbesserungen an der Bundeswehrreform. „Die Unzufriedenheit in der Truppe ist enorm. Das hat in hohem Maß etwas mit Unzulänglichkeiten der Bundeswehrreform zu tun“, sagte SPD-Verteidigungsexperte Rainer Arnold der „Rheinischen Post“ (Mittwoch).
Auch der Bundeswehrverband forderte von der neuen Ministerin schnelles Handeln. „Es kommt jetzt darauf an, dass Frau von der Leyen zügig die beschriebenen Mängel abstellt und die im Koalitionsvertrag festgeschriebene Attraktivitätsoffensive startet“, sagte der Vorsitzende André Wüstner.