Weitere Amtsaufgabe beim Verfassungsschutz
Erfurt/Berlin (dpa) - Die Affäre um Pannen bei der Verfolgung der Zwickauer Neonazi-Terrorzelle hat weitere Konsequenzen. Der Thüringer Verfassungsschutzpräsident Thomas Sippel muss sein Amt aufgeben.
Der 55-Jährige werde in den einstweiligen Ruhestand versetzt, teilte Landesinnenminister Jörg Geibert (CDU) am Dienstag mit. Erst am Montag hatte der Chef des Bundesamts für Verfassungsschutz, Heinz Fromm, seinen Rückzug zum 31. Juli angekündigt. Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) denkt nun über eine Reform des Verfassungsschutzes nach.
Sippel und er hätten sich in einem Gespräch auf den Amtsverzicht verständigt, sagte Geibert: „Der Verfassungsschutzpräsident hat nicht mehr das Vertrauen des Parlaments.“ Sippel, der das Amt seit November 2000 führte, stand zuletzt wegen seiner Informationspolitik zur „Operation Rennsteig“ bei der Verfolgung des Neonazi-Trios bei den Landtagsabgeordneten stark in der Kritik. Bei der geheimen Aktion ging es zwischen den Jahren 1997 und 2003 um den Einsatz von V-Leuten im Umfeld des Thüringer Heimatschutzes, dem früher auch das Neonazi-Trio angehörte.
Friedrich sagte am Dienstag im Deutschlandfunk, die Fehler des Verfassungsschutzes dürften nicht ohne Konsequenzen bleiben. Nach dem Ausscheiden Fromms „werden wir ganz in Ruhe über Reformen oder über Veränderungen beim Verfassungsschutz reden“. Die FDP dringt auf einen Umbau der kompletten Sicherheitsarchitektur in Deutschland.
Vor wenigen Tagen war bekanntgeworden, dass Mitarbeiter im Bundesamt für Verfassungsschutz im November 2011 Akten über die Neonazi-Szene zerschreddert hatten, nachdem die Zwickauer Terror-Zelle aufgeflogen war.
Der FDP-Innenexperte Manuel Höferlin sieht auch den Chef des Bundeskriminalamts, Jörg Ziercke, in der Verantwortung. „Der Rückzug Fromms reicht nicht aus. Aus dem Versagen der Sicherheitsbehörden müssen weitere personelle Konsequenzen folgen“, sagte Höferlin der „Bild“-Zeitung. „Das betrifft insbesondere BKA-Chef Jörg Ziercke.“
Noch stärker als über das Personal wird über institutionelle Reformen debattiert. FDP-Fraktionschef Rainer Brüderle forderte in der „Rheinischen Post“ „eine grundlegende Reform der Strukturen der Sicherheitsinstitutionen“. Zugleich sprach er sich für eine stärkere Verzahnung der Landesämter und des Bundesamts für Verfassungsschutz aus. Auch der Grünen-Chef Cem Özdemir sagte dem „Hamburger Abendblatt“, der Verfassungsschutz müsse komplett auf den Prüfstand. Der Vorsitzende der Türkischen Gemeinde in Deutschland, Kenan Kolat, plädierte sogar dafür, über seine Abschaffung nachzudenken.
Der SPD-Fraktionsgeschäftsführer Thomas Oppermann sagte der dpa, der Verfassungsschutz müsse sich vom Schlapphut-Image verabschieden. „Verfassungsschützer müssen nicht in erster Linie Geheimdienstler sein, sondern geschulte Demokraten, mit einem richtigen Gespür für die Gefahren, die unserer Demokratie drohen.“ Auch das Parlamentarische Kontrollgremium könnte „noch professioneller arbeiten“, wie der Vergleich mit den USA zeige, wo die beiden Kontrollausschüsse jeweils rund 60 Mitarbeiter hätten.
Der Untersuchungsausschuss kam am Dienstag zu weiteren Zeugenvernehmungen zusammen. Am Donnerstag soll auch Fromm dem Gremium Rede und Antwort stehen. Der Ausschuss untersucht, wie es zur Mordserie der Neonazi-Terroristen mit zehn Toten kommen konnte.
In der Sitzung am Dienstag tauchten neue ungeklärte Fragen zur Rolle des Verfassungsschutzes nach dem Kölner Nagelbombenattentat 2004 auf. Die Tat wird der Neonazi-Terrorgruppe Nationalsozialistischer Untergrund (NSU) zugeordnet.