Werben für Groko: Martin Schulz - Die Tour seines Lebens
SPD-Parteichef Martin Schulz wirbt in Düsseldorf für die Groko. Das hätte er sich lange selbst nicht vorstellen können. Aber jetzt ist er anderen voraus. Eine Beobachtung.
Düsseldorf. Als Martin Schulz aus dem Mercedes am Holiday Inn an der Toulouser Allee in Düsseldorf steigt, stehen 60 Jusos aus Nordrhein-Westfalen und viele Journalisten seit zwei Stunde in der Kälte. Jetzt werfen die Jungsozialisten ihre Megafone an, rufen „Nie, nie, nie wieder Groko“, zeigen ihre Plakate, auf denen in Anlehnung auf die Unkenrufe der CSU zum Beispiel „Zwergenaufstand“ steht. Oder auch: „Rückgrat statt Rückschritt“. Schulz bahnt sich den Weg, er lächelt die Proteste gönnerhaft weg, streicht dem jungen Mann mit dem Lautsprecher über das Haar, als wollte er sagen: Wir sind doch eine Familie, und jetzt spielen die Kleinen eben mal ein bisschen Revolution. Dann entschwindet Schulz im Innern des Hotels, wo 70 Delegierte aus dem Rheinland mit dem SPD-Parteichef, NRW-Chef Michael Groschek, Bundes-Fraktionschefin Andrea Nahles und NRW-Generalsekretärin Svenja Schulze diskutieren wollen, wie das denn nun geht: Große Koalition in Berlin. Alle Muster verwerfen. Neu denken. Eben: biegsame Politik.
Es hört nicht auf. Schon am Morgen hat Schulz 30 Minuten die Zweifel bei Facebook abgearbeitet. Ablehnung vom feinsten. Unvermittelt auf Socialmedia-Niveau. Was bitte soll das überhaupt? Was ist anders als am Wahlabend im September? Fragen, die der 62-Jährige hundert Mal gehört hat. Und bis zum Sonntag in Bonn, bis zum entscheidenden Sonderparteitag, noch oft hören wird. „Ich höre es mir an, weil nichts in Stein gemeißelt ist. Aber meine Bedenken sind klar. Noch weiß ich nicht, warum ich dem zustimmen sollte“, sagt der Düsseldorfer SPD-Mann Andreas Rimkus auf dem Flur des Hotels, bevor Schulz den Raum betritt. Am Eingang liegt das Papier: „Ergebnisse der Sondierungsgespräche“, hundertfach kopiert. Draußen verteilen die Jusos ihre Wahrheit: „Warum die Ergebnisse die NRW-Jusos in ihrer Ablehnung bestärken.“
Schulz wird auch für Rimkus eine Antwort haben. Man mögen doch an Alleinerziehende denken, an die Rentnerin oder Menschen in Pflegeheimen. Sie alle warteten auf Veränderung. Er wird das herunterbeten, was jetzt als sozialdemokratischer Bestandteil der Sondierungsvereinbarung gilt: Grundrente, Investitionen in Bildung, Verbesserungen bei Pflege und Kinderbetreuung, Entlastungen für Familien. Und Aufbruch in Europa.
Kerstin Griese aus dem Wahlkreis Mettmann II und aus dem SPD-Bundesvorstand ist bei Schulz. Sie wirbt mit dem Parteichef für die Aufnahme von Koalitionsgesprächen, war schon tags zuvor in Dortmund dabei, wo Teilnehmer von einer deutlichen Mehrheit der westfälischen Delegierten gesprochen haben, die auch nach dem Wortwechsel mit Schulz und Groschek gegen die Groko votiert hätten. „Wenn wir es nicht machen, wird es keine soziale Politik mehr in Deutschland geben“, sagt Griese. Andere sehen nach möglichen eine Jamaika-Zukunft mit Spahn und Lindner nach Neuwahlen aufziehen. Tenor: Wollen wir das verantworten?
Für die Jusos draußen ist die Sache klar: „Wir sind gegen die Groko, und was danach ist, interessiert erst danach, wenn es in ein neues Rennen geht“, sagt Juso-NRW-Chef Frederick Cordes, der die Wandlung von Landeschef Groschek vom Groko-Gegner zum Anhänger nicht verstehen will. „Staatstragende Verantwortung ist es auch manchmal, in der Opposition zu arbeiten“, sagt Cordes und lächelt. Er hat Groschek zitiert. Nur würde der das heute nicht mehr sagen. „Dieses ständige Wechselspiel der Meinungen gefällt uns Jusos nicht“, sagt Gianni Virgallita, der aus Oberhausen gekommen ist und mit lärmt.
Die SPD-Vorstände in mehreren Ländern (Niedersachsen oder Brandenburg) haben sich für Koalitionsverhandlungen ausgesprochen. Andere Landesverbände sind per Parteitagsbeschluss gegen eine Groko: Thüringen oder Sachsen-Anhalt, auch die Berliner SPD. Gebunden ist daran am Sonntag kein Delegierter. Aber immer wieder ist es ein Stich für Martin Schulz. In NRW wird am Vormittag klar: Der Landesvorstand mit seinen 37 stimmberechtigten Personen wird kein Votum vor Bonn abgeben. Niemand der Delegierten, heißt es am Abend, soll eine Entscheidung vorgesetzt bekommen, Basis statt Basta. Basis statt Basta?
Natürlich verdeutlicht diese Entscheidung auch die Zerrissenheit der NRW-Führung. Die SPD ist eine zerrissene Partei. Nie stimmte dieses Wort in einem Ausmaß wie in den Tagen vor diesem Sonntag, an dem die Republik noch einmal auf den Kopf gestellt werden könnte. Und für den Sonderparteitag ist niemand in Sicht, der mit einer grandiosen Rede alles zum Kippen bringen könnte. Sigmar Gabriel ist außer Sicht.
Schulz tourt und tourt. Wirbt. Er sieht mitgenommen aus. Sein Programm ist unmenschlich. Am Montag Dortmund, Dienstag Düsseldorf, dann Bayern und Rheinland-Pfalz. Immer dort, wo die meisten Delegierten ein Stimmrecht haben werden. 144 sind es aus NRW — und damit knapp ein Fünftel aller Delegierten beim Sonderparteitag. „Es ist wirklich sehr knapp“, sagt einer, „alles wird möglich sein.“ Schulz dagegen übt sich in Optimismus: "Befürworter und Gegner halten sich auch hier die Waage. Ich weiß nicht, wie es ausgeht, bin aber optimistisch, am Sonntag ein Mandat für Koalitionsverhandlungen zu erhalten.“
Es könnte ein schwaches Mandat für Martin Schulz sein. Aber dann wohl auch ein passables Druckmittel in den Koalitionsverhandlungen. Alles ist auf Kante genäht. Am Abend in Düsseldorf ist noch nicht klar, ob der Faden am Ende reißt.