#cdupt16 Wie man einen Parteitag übersteht

Jammern auf höchstem Niveau: Ein preisgekrönter Politik-Redakteur der Welt fand im vergangenen Jahr, dass Folter-Erfahrungen helfen, Parteitage zu überstehen. Alles Quatsch, findet WZ-Chefredakteur Ulli Tückmantel

Foto: Ulli Tückmantel

Berlin/Karlsruhe/Essen. „Diese Zeilen schreibe ich“, schrieb Robin Alexander vor einem Jahr, „aus dem Baden Airpark." Das klinge nach einem für reiche Ausländer vermarkteten Luftkurort, fand der Redakteur der „Welt“, aber in Wirklichkeit sei es eine olle US-Militärbaracke und der schrecklichste aller deutschen Regionalflughäfen. Warum saß Robin Alexander dort? „Weil ich nichts Anständiges gelernt habe und deshalb politischer Journalist geworden bin.“ Und dann begann die große Jammerei über das Jahresende, wo man das Weihnachtskonzert der Tochter verpasst, weil wieder irgendwo ein Parteitag ist.

Der Chefredakteurs-Kollege der viertgrößten Tageszeitung in NRW würde spätestens an dieser Stelle einwerfen: „Immer noch besser als arbeiten!“ Was er darf, weil er weiß, dass Parteitage tatsächlich heftig viel Arbeit sind, und weil er zu Recht annimmt, dass es die Mehrheit der Bevölkerung nicht für ein bedauernswertes Schicksal hält, auf Verlagskosten durch Deutschland zu fliegen, in halbwegs ordentlichen Hotels zu übernachten, alle Mahlzeiten gratis zu erhalten und in gut klimatisierten Messe-Hallen einfach aufzuschreiben, was Politiker von sich geben. Falls sie denn einen ordentlichen Arbeitsplatz finden.

In dieser Hinsicht sind Parteitage je nach Partei unterschiedlich schlimm. Am besten sind die der SPD, am schlimmsten sind die der CDU, so wie aktuell der in Essen. Bei der SPD ist nicht nur die Vorabend-Party wie überhaupt das Catering besser, sie sorgt vor allem für ordentliche Arbeitsbedingungen. Die CDU verfährt dagegen nach dem Prinzip „Jugendherberge“: Wer zuerst sein Handtuch wirft oder per Klebeband (!) Tischfläche reklamiert, gewinnt. Das sind naturgemäß immer die Öffentlich-Rechtlichen, die mit beschäftigungslosen Heerscharen einfallen, deren Zahl in keinem Verhältnis zur Menge der Beiträge und Zuschauer steht.

Robin Alexander litt nun also im einzigen Warteraum des Baden Airpark, und er kannte alle, die dort mit ihm litten: „Meine müden Kollegen von den anderen Zeitungen, die tapfere kleine Frau, die auf einem Logo-Waffeleisen in den letzten zwei Tagen eintausend CDU-Waffeln gebacken hat, der Mann vom Verband für Zahngesundheit, der jedem Delegierten eine Gratistube Elmex aufdrängen musste, und der Mann von der Automatenwirtschaft, der gegen Regulierung kämpft.“

Dazu muss man wissen: Auf jedem größeren Parteitag gibt es vor den Saaltüren des Plenums eine Art Jahrmarkt, auf dem Lobbyisten für ihre Anliegen werben. Sie zahlen den Parteien dafür viel Geld, und sie überhäufen jeden, der in ihre Nähe kommt, mit Info-Kram und kleinen Geschenken aller Art. Die beliebtesten (weil für Parteitagsbesucher nützlichsten) Lobbyisten machen sich dagegen zunutze (wahrscheinlich zahlen sie auch dafür), dass es auf diesen Parteitagen (fast) keine reguläre Gastronomie oder sonstige Versorger gibt. Die fünf wichtigsten Lobbyisten, um einen (in Wahrheit dreitägigen) Parteitag zu überleben, sind:

1.) Die Sparkasse
Sie ist immer da, egal bei welcher Partei, und sie hat einen gut funktionierenden Messestand in mehreren Ausführungen. Da geht es nicht um Geld, da geht es um Kaffee — und zwar in der Regel den besten des ganzen Parteitags; dazu ein Stück Schokolade. Das Team, das man vorletzte Woche noch in Berlin angetroffen hat, ist wenige Tage später auch in Essen wieder am Start. Und weil die Sparkasse Leute offenbar ganzjährig dafür bezahlt, irgendwo Kaffee zu kochen, können sie es wirklich. Entsprechend lang sind die Schlangen vor dem Sparkassenstand, falls man unmittelbar nach einer Rede oder Beschlussfassung dort aufkreuzt.

2.) Das RWE

Die RWE AG ist im Rheinland das RWE. Während sie draußen als das „sympathische“ Unternehmen bekannt ist, das im Braunkohle-Tagebau gnadenlos weiter abholzt, die Energiewende nach Kräften blockiert hat und nun über ihre ollen Kraftwerke jammert, kennt der Parteitags-Besucher das RWE vor allem als prima Waffelbäcker. Eimerweise fließt der Teig in die Eisen, und was die Sparkasse für den Kaffee ist, das ist der RWE-Stand für Waffeln: Gold-Standard.

3.) Die Tabak-Industrie
Meist kommt ein einzelnes Unternehmen, manchmal kommt auch der Verband. Es gibt Feuerzeuge und Gratis-Zigaretten, sinnvollerweise in der Nähe eines Ausgangs in Freie. Manchmal ist die Tabak-Lobby auch so freundlich, ein paar beheizte Partyzelte für die Raucher aufzustellen. Und das sind unter den Politikerinnen und Politikern etliche.

4.) Die Gütegemeinschaft Stahlschutzplanke
Das ist mal richtiger Lobbyismus. Diese Lobbyisten kämpfen gegen die Lobbyisten von der Beton-Fraktion, deren Wirken auf immer mehr Autobahnen die Mittelstreifen in Panzersperren verwandelt. Der Verein „Rettet die Leitplanke“ verteilt neben Kaffee (geht so) vor allem Energy-Drinks in Dosen, die denen des Marktführers verdächtig ähneln.

5.) Alle anderen
Werben mit Streu-Artikeln für irgendwelche Inhalte. Am Ende eines Parteitags kann man Journalisten und Parteimitglieder als Außenstehender am besten an der Zahl der Tüten unterscheiden, die sie aus der Halle tragen. Auch wegen der Tüten gilt: Politiker haben es schwerer als Journalisten.