Herr Verheugen, ist Ursula von der Leyen die Richtige für das Amt der Kommissionspräsidentin?
Interview mit Günter Verheugen Ursula von der Leyen als Kommissionspräsidentin wäre „eine Wählertäuschung ersten Ranges“
Berlin · Günter Verheugen (SPD) war lange Zeit EU-Kommissar, auch Vizepräsident der Kommission. Im Interview findet er zur Personalie Ursula von der Leyen deutliche Worte.
Günter Verheugen: Ganz unabhängig von der Qualifikation muss man einfach sagen, diese Entscheidung wirft die allergrößten Zweifel auf im Hinblick auf die Glaubwürdigkeit europäischer und deutscher Politik.
Inwiefern?
Verheugen: Man kann ja Bedenken gegen das Spitzenkandidatenmodell haben, und ich habe sie. Wenn man es aber macht, dann muss man dazu stehen. Die Union und die Kanzlerin haben in den Mittelpunkt des Europawahlkampfes gestellt, Manfred Weber solle Kommissionspräsident werden. Dies dann einfach fallen zu lassen, ist eine Wählertäuschung ersten Ranges.
Frau Merkel sagt, nach über 50 Jahren soll endlich eine Frau und eine Deutsche das Amt bekommen. Das ist doch ein Erfolg.
Verheugen: Das Argument „Frau“ wird es dem Europäischen Parlament schwerer machen, Nein zu sagen, denn es ist tatsächlich höchste Zeit, eine Frau an die Spitze der EU-Kommission zu bringen. Die Nationalität überhaupt ins Spiel zu bringen, macht die Sache nicht leichter. Eine Kommissionspräsidentin hat ausschließlich dem europäischen Gemeinwohl zu dienen und niemals den Interessen ihres Herkunftslandes. Insgesamt repräsentieren die Vorschläge nur den alten Teil der EU und sie sind überhaupt kein Signal für mehr Demokratie und Bürgernähe in der EU.
Was muss man mitbringen für so einen Job?
Verheugen: Große internationale Erfahrung und sehr viel Einfühlungsvermögen. Denn die noch 28 Mitglieder der EU haben alle ihre nationalen Eigenheiten. Die muss man kennen und berücksichtigen. Und man muss in der Lage sein, den wahrscheinlich anspruchsvollsten Apparat, den es auf der Welt gibt, zu leiten: die Europäische Kommission.
Internationale Erfahrung hat Frau von der Leyen, einen schwierigen Apparat zu leiten, ist ihr zuletzt schwergefallen. Stichwort Bundeswehr.
Verheugen: Letzteres wird bei der Entscheidung des EU-Parlamentes sicher eine Rolle spielen. Gegen Manfred Weber wurde argumentiert, dass er keine Regierungserfahrung habe. Schon in ihrem jetzigen Amt steht Frau von der Leyen unter massiven Druck. Deshalb wird ihre Wahl alles andere als ein Selbstläufer.
Haben Sie den Eindruck, dass die Ministerin nach Europa abgeschoben werden soll?
Verheugen: Eindeutig war Frau von der Leyen nicht die erste Wahl der EVP. Das war Manfred Weber. Sie selber allerdings kann eine erfolgreiche Nominierung als die Krönung ihrer Karriere ansehen.