Politisches Erdbeben in NRW: Regierung am Ende
Düsseldorf/Berlin (dpa) - Politisches Erdbeben in Nordrhein-Westfalen: Das bevölkerungsreichste Bundesland steht nach dem Scheitern seiner rot-grünen Minderheitsregierung vor einer raschen Neuwahl.
Die Koalition von Ministerpräsidentin Hannelore Kraft (SPD) gab am Mittwoch nach nur 22 Monaten auf. Zuvor hatte sie ihren Haushalt nicht durch den Düsseldorfer Landtag gebracht. Kraft und der Vorsitzende der NRW-CDU, Bundesumweltminister Norbert Röttgen, wollen als Spitzenkandidaten ihrer Parteien in den kurzen Landtagswahlkampf ziehen.
Das vorläufige Ende von Rot-Grün wurde am Vormittag eingeläutet, als die Oppositionsfraktionen von CDU, FDP und Linkspartei geschlossen gegen den Einzel-Etat des Innenministers stimmten. Damit fiel automatisch der NRW-Gesamtetat 2012 durch. Nach stundenlangen Beratungen votierte der Landtag einstimmig für seine Auflösung. Der künftige Landtag muss binnen 60 Tagen gewählt werden. Wahrscheinlichster Wahltermin ist der 6. oder 13. Mai.
„Es ist gut, jetzt klare Kante zu machen“, sagte Kraft nach der Abstimmung, die sowohl ihre Koalitionsfraktionen als auch die CDU beantragt hatten. Es habe keine Brücke mehr zur FDP oder zu den Linken gegeben. Die FDP hatte größere Sparanstrengungen verlangt, um den Haushalt im Landtag passieren zu lassen, die Linke hingegen mehr als eine Milliarde Euro an Mehrausgaben. Bis zuletzt hatte die Regierung darauf gesetzt, dass sich die - in Umfragen schwache - FDP noch enthalten und damit die Regierung stützen könnte.
Das Echo der Bundesparteien auf die unerwartete Wende in Düsseldorf war geteilt. Während die schwarz-gelben Koalitionsfraktionen in Berlin das Ende der Minderheitsregierung in NRW begrüßten, warf die SPD der Opposition in Düsseldorf Inkompetenz vor: „Die Opposition aus CDU, FDP und Linkspartei hat heute erneut ihre Unfähigkeit unter Beweis gestellt, Verantwortung für Nordrhein-Westfalen zu übernehmen“, sagte der Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion, Frank-Walter Steinmeier.
Dagegen nannte Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) eine Neuwahl in NRW „gut und richtig“. Für die Arbeit auf Bundesebene habe dies keine Bedeutung.
Der künftige CDU-Wahlkämpfer Röttgen sagte in Düsseldorf, er sehe wieder gute Chancen, dass die CDU stärkste Partei im bevölkerungsreichsten Bundesland werde. Ob er auch im Fall einer Niederlage nach Düsseldorf geht, ließ Röttgen zunächst offen. Auch Kraft kündigte an, kämpferisch in die Wahlauseinandersetzung zu ziehen. „Unsere Bilanz kann sich sehen lassen.“
Auslöser für die rasante Entwicklung in NRW war ein kurzer Rechtshinweis der Landtagsverwaltung an die Fraktionsspitzen am Dienstag. Sie erläutert, dass der Gesamthaushalt als gescheitert anzusehen sei, wenn ein Einzelplan in der zweiten Lesung abgelehnt werde. Bis dahin waren alle Fraktionen davon ausgegangen, dass es Verhandlungsspielräume bis zur dritten Etatlesung gebe, die für Ende März vorgesehen war.
Die Linken und vor allem die FDP müssen bei der Neuwahl um den Wiedereinzug in den Landtag fürchten. Die FDP lag in den jüngsten Umfragen nur noch bei zwei Prozent, die Linke pendelte zuletzt zwischen drei und fünf Prozent.
Der Landesvorsitzende der NRW-FDP, Bundesgesundheitsminister Daniel Bahr, gab sich dennoch kämpferisch: „Wir sind nicht scheu vor einem Wahlkampf, denn die Karten mischen sich immer wieder neu.“ Die FDP habe bewiesen, dass ihr ihre Überzeugung, für einen Schuldenabbau zu kämpfen, wichtiger sei als ihre Mandate. FDP-Landtagsfraktionschef Gerhard Papke sagte: „Ich war noch nie so stolz, Vorsitzender dieser Fraktion zu sein.“ Die NRW-FDP hat am Mittwoch nach Parteiangaben noch nicht über ihren Spitzenkandidaten entschieden.
Eine Alternative zur Neuwahl habe es nicht mehr gegeben, sagte Kraft. Nachdem die CDU den Haushalt von vornherein klar abgelehnt habe, sei keine realistische Möglichkeit für neue Bündnisse ohne Auflösung des Landtags mehr geblieben. Mit der CDU sei eine große Koalition ausgeschlossen.
Die Piratenpartei sieht einer Neuwahl in NRW „erwartungsfroh und gelassen“ entgegen. „Wir sind bereit“, sagte der Landesvorsitzende der Piraten, Michele Marsching. In den jüngsten Umfragen lagen die Piraten in NRW über der Fünf-Prozent-Hürde.