Bundestagswahl 2025 Vor der Wahl: Wie sicher sind Umfragen?

WUPPERTAL · Wenn das Volk nach seiner Meinung gefragt wird. Alles, was man zu Umfragen wissen sollte

Wohin das Kreuzchen? Meinungsforscher wollen es wissen. Gerne schon vor der Wahl.

Foto: dpa/Patrick Pleul

Institutsleiter wie Forsa-Geschäftsführer Manfred Güllner sind in diesen Tag gefragt. Spricht der 83 Jahre alte Remscheider derzeit über Umfragen und Prozentpunkte von Parteien und Kandidaten vor der Bundestagswahl am Sonntag, hören sehr viele hin. Mal hier einen halben Prozentpunkt mehr für Grüne, hier Abzug für SPD oder CDU. Und darf das BSW noch hoffen? Kein Kanzlerbonus für Scholz - und Merz vor allem bei Frauen unbeliebt? Alles abgefragt. Es sind nur noch Tage bis zur Bundestagswahl. Und von dem, was Güllners Geschäft ist, nämlich dass dessen Wählerumfragewerte nahe am Endergebnis liegen, sind die Schlagzeilen beherrscht. Dabei ist klar: Immer wieder gibt es prägnante Abstände zwischen Prophezeitem und Eintretendem. So groß das Bemühen der Institute ist, dem Ergebnis nahezukommen, so viel Unsicherheit bleibt. Und das hat Gründe.

70 Prozent nehmen Umfragen
vor der Wahl wahr

Die Grundsatzfrage: Was denkt die Bevölkerung zu einem bestimmten Zeitpunkt über eine bestimmte Frage? Damit befasst sich die Demoskopie. Informativ oder unterhaltsam ist das allemal. Aber eben auch eine Wissenschaft, mit der Politik gemacht werden kann. Der Mainzer Politik-Professor Thorsten Faas („Empirische Politikforschung“) sagte unlängst in einem Interview zum Sinn dieser Umfragen: „Es gibt sie, weil in Deutschland vor allem Medien solche Umfragen in Auftrag geben, um dann über die Zahlen zu berichten. Das Interesse scheint vorhanden zu sein, denn in den Wochen vor der Wahl nehmen etwa 70 Prozent der Menschen tatsächlich solche Umfrageergebnisse wahr.“

Das ist eine Wahrheit. Aber nicht das ganze Bild. Wahlumfragen sind nicht weniger, aber auch nicht mehr als Stimmungsbilder, sie sind ein auf den Tag geworfenes Schlaglicht. Mit Blick auf Wahlausgänge sind sie aber nie eine Garantie auf den tatsächlichen Ausgang. Nicht nur, dass sich entscheidende Dinge kurzfristig ändern können. Es gibt laut Faas auch „methodisch-technische Herausforderungen bei der Durchführung solcher Umfragen“. Entscheidend bleibt deswegen der Wahlsonntag.

Wie aussagekräftig Meinungsumfragen sind, hängt davon ab, wie viele Menschen sich beteiligen und auch, wen man fragt. Wer kontaktiert wird, darüber entscheidet klassischerweise eine Zufallsstichprobe. Weil erst der Zufall theoretisch wirklich alle wahlberechtigten Personen in die Stichprobe für die Umfrage entsenden kann. Das sei, sagt Faas, „ähnlich wie bei einem Würfel, bei dem jede Zahl jeweils eine Chance hat, gewürfelt zu werden“. Deshalb reichten auch die typischerweise 1000 bis 2000 Befragten, um ein gutes Stimmungsbild zu bekommen.

Aber: Die Bereitschaft von Wählern, an solchen Umfragen teilzunehmen, ist wegen des Aufwands und mangelnden Interesses gering. Ob die Menschen nun persönlich angesprochen, auf Festnetz oder Handy angerufen werden oder sich online befragen lassen – die Teilnahmebereitschaft liegt bei fast allen Methoden im einstelligen Prozentbereich. Und dann stellt sich auch die Frage: Wen erreicht man denn eigentlich über die jeweilige Schiene? Wird das Bild in Sachen Repräsentativität bei den per Festnetz-Befragten (und das machen viele Institute) nicht schon dadurch verfälscht, dass hier die Angerufenen in der Regel ältere Menschen sind? Bei Online-Umfragen sind es wohl eher die jüngeren Internet-affinen Kohorten. Repräsentativ? Und: Online-Umfragen bieten auch dieses Einfallstor für verfälschte Ergebnisse: Die Abstimmenden machen aus eigenem Antrieb mit. Wer an einem Thema besonders interessiert ist, dürfte dem Ergebnis auch eine andere Schlagseite geben als der rein zufällig Ausgewählte.

Hinzu kommen immer wieder Mutmaßungen, dass das eine Institut der einen, das andere der anderen politischen Richtung nahestehe. So wird das „Institut für Demoskopie Allensbach“ dem konservativen Spektrum zugeordnet, Güllners „Forsa“ soll eher eine Nähe zu SPD-Positionen haben. Wie weit das stimmt und vor allem, ob dies Einfluss auf die Ergebnisse hat, ist so wenig dingfest zu machen wie bei der Beurteilung der Ergebnisse von infratest Dimap, der Forschungsgruppe Wahlen oder Civey, Yougov oder Insa.

Sie alle können sich freilich nicht erlauben, Fantasie-Ergebnisse auf den Markt zu werfen, deren Fehlerhaftigkeit sich spätestens am Wahltag beim Abgleich mit den Wahlergebnissen zeigt. Eine Garantie gibt es ohnehin für nichts. So lagen fast alle Institute beim Thema Brexit oder bei beiden Trump-Wahlen neben der Realität. Allein auf Trump geschaut: Bei dessen erster Wahl sahen fast alle Demoskopen die Demokratin Hillary Clinton vorne, bei der zweiten Wahl die demokratische Gegenkandidatin Kamala Harris deutlich näher an Trump als am Ende geschehen. Sein Sieg war aber erdrutschartig.

Faas hat für diese Fehlprognosen eine Erklärung: Bezogen auf Trump oder auch sehr rechte Parteien wie die AfD gebe es das Argument, dass befragte Menschen falsch antworteten, weil sie deren Wahl nicht zugeben wollten. Oder: Diese Anhänger hegen oft Misstrauen gegenüber Medien und demoskopischen Instituten – und nehmen deswegen gar nicht erst teil: „Auf diese Weise wird die Unterstützung für populistische Parteien und Bewegungen unterschätzt“, sagt Faas. „Und am Wahltag kommen plötzlich viel höhere Zahlen für diese zustande, als es absehbar war.“

Umfragen als
Teil des Prozesses selbst

Meinungsumfragen können durchaus das Zeug haben, die politische Entwicklung selbst zu beeinflussen, also quasi Teil des Prozesses selbst zu werden. So hat die Universität Hohenheim 2017 in einer Analyse zurückliegender Wahlen ausgemacht, welche Auswirkungen Umfragen auf die Ergebnisse haben können. Demnach kann ein schlechtes Prognoseergebnis für die vom Wähler favorisierte Partei diesen zur Stimmabgabe mobilisieren. Der FDP kann das aktuell helfen: Sie wurde wochenlang bei vier Prozent gesehen und hilft sich mit diesem Wissen und der daraus resultierenden Aktivierung womöglich gerade über die Ziellinie.

Der umgekehrte Effekt kann eintreten, wenn ein Wahlergebnis schon als sicher erscheint: Was soll ich noch abstimmen, denkt derjenige, der seine Partei abgeschlagen im Hintertreffen sieht (Defätismuseffekt). Ebenso jener, der glaubt, sich auch ohne Stimmabgabe zurücklehnen zu können („Lethargieeffekt“), weil „seine Partei“ so weit vorn liegt. Das könnte für die CDU aktuell zum Problem werden. Auch könnte, so vermuten die Hohenheimer Forscher, der Mitläufer-Effekt eine Rolle spielen: man stimmt gerne für den vorausgesagten Wahlsieger, weil man bei den Siegern sein will. Oder aber der Mitleidseffekt, die Stimme für den Underdog also. Oder noch schöner: der „Fallbeileffekt“: Demoskopen sagen einer Partei das Verbleiben unter der Fünf-Prozent-Hürde voraus, der Wähler will seine Stimme nicht verschenken, er wählt seine zweitliebste Partei. Sein Favorit wird endgültig „erschlagen“. Darauf hat zuletzt Unions-Kanzlerkandidat Friedrich Merz in Sachen FDP spekuliert. Um sein eigenes Ergebnis zu verbessern.